Süddeutsche Zeitung

David Storl bei der Leichtathletik-EM:Gold mit Sauergeschmack

Lesezeit: 3 min

Kugelstoßer David Storl krönt den guten ersten Tag für Deutschland bei der Leichtathletik-EM in Zürich mit seiner Titelverteidigung - doch "nur" 21,41 Meter als Bestweite bremsen seine Freude. Er weiß, dass er eigentlich noch weiter stoßen kann.

Von Thomas Hahn, Zürich

Noch einmal setzte er die Kugel ins Feld. Aber sie wollte nicht so richtig fliegen, und für einen Augenblick sah es so aus, als senke David Storl den Blick. Auch diese 20,98 Meter im letzten Stoß hätten ihm zum Sieg gereicht am ersten Abend der Leichtathletik-Europameisterschaften in Zürich, aber die Weite gefiel David Storl nicht. Seine Bestleistung liegt einen knappen Meter drüber, bei 21,97 Meter; die 22-Meter-Marke zu knacken, wäre ein schönes Ziel gewesen aus Anlass der EM.

Und so zog David Storl eher nüchtern Bilanz nach diesem Wettkampf mit vielen Fehlversuchen im mäßig besuchten Letzigrundstadion, bei dem er schon im ersten Stoß seine Tagesbestweite von 21,41 Metern erzielt hatte: EM-Titel verteidigt, seiner reichen Titelsammlung die nächste Würde hinzugefügt. Aber doch deutlich beim Versuch gescheitert, sich selbst zu übertreffen. David Storl sagte sogar: "Ich bin sauer trotz der Goldmedaille."

Der erste Tag bei der EM in Zürich ist insgesamt gelungen gewesen aus Sicht des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Die Vorkämpfe liefen fast reibungslos für die DLV-Sportler, reihenweise qualifizierten sie sich für Endkämpfe oder Zwischenläufe, wobei der Sprinter Sven Knipphals, der im 100-Meter-Turnier mit 10,37 Sekunden ebenso ins Halbfinale einzog wie der deutsche Meister Julian Reus (10,32) und der Berliner Lucas Jakubczyk (10,23), das nicht überbewerten wollte: "Man musste schon viel Mist produzieren, um hier nicht weiterzukommen", sagte er.

Und für jemanden wie den Diskuswurf-Olympiasieger Robert Harting war der Einzug ins Finale an diesem Mittwoch ohnehin eine Pflichtübung; mit einem Wurf auf 67,01 Meter hakte er sie ab. Weniger selbstverständlich war da schon der Halbzeitstand beim Zehnkampf: Kai Kazmirek von der LG Rhein-Wied mit 4492 Punkten vor dem Weißrussen Andrei Krauchanka (4363) und Arthur Abele aus Ulm (4310). Kazmirek hat gute Chancen, den Frankfurter Pascal Behrenbruch als Europameister zu beerben.

Aber der Bringer des Abends ist natürlich David Storl gewesen. Die erste Medaille bei einer großen Meisterschaft ist schließlich immer auch ein Signal für den Rest des Aufgebots. Storl-Trainer Sven Lang empfing auf der Tribüne die Glückwünsche seiner Kollegen, Storl selbst ließ sich eine deutsche Fahne reichen. Aber so richtig außer sich vor Freude konnte er nicht sein. David Storl ist erst 24 Jahre alt, aber er ist Siege gewohnt. Zwei Mal war er schon Weltmeister, bei Olympia 2012 immerhin Zweiter, schon als Jugendlicher haben seine Betreuer ihn darauf vorbereitet, dass er mal ein Großer seines Sports wird.

Da hebt einen so ein EM-Gold ohne persönlichen Rekord nicht in den siebten Himmel. Zumal Storl sich seiner Favoritenrolle sehr bewusst war. "Ich bin vorsichtig, weil man niemanden unterschätzen sollte", sagte er zwar am Dienstagvormittag, nachdem er sich mit einem Stoß auf 20,76 Meter für den Endkampf empfohlen hatte, aber das war wohl eher höflich gemeint.

David Storl ist in dieser Saison mit Abstand der beste Europäer in seiner Disziplin. Die Jahresweltbestenliste sieht auf den ersten Plätzen so aus, als gäbe es auf der ganzen Kugelstoß-Welt nur Storl und ein paar Amerikaner. David Storl wusste, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit gewinnen würde. Er sagte: "Ich denke schon, dass ich hier nicht meinen schlechtesten Wettkampf dieses Jahr abliefern werde." Und die 21,41 zu Beginn sahen ja dann auch aus wie der Auftakt eines ganz besonderen Abends. "Wirklich gut für den Anfang", fand auch Storl. Aber dann? "Habe ich total meine Linie verloren." Es folgten insgesamt drei Fehlversuche.

David Storl ist diese Saison ein bisschen anders angegangen als in den vergangenen Jahren. Einer wie er, der so jung schon so erfolgreich ist, muss sich rege halten, indem er sich neuen Aufgaben stellt. Abnehmen war eine dieser Aufgaben, nachdem ihm in jungen Jahren immer nachgesagt worden war, er müsse mehr Masse aufbauen. Das hatte Storl auch gemacht, allerdings an den falschen Stellen. "Am Bauch", wie Trainer Lang etwas verschämt zugibt. Storl selbst hat es früher im Jahr in der Bild-Zeitung etwas drastischer ausgedrückt: "Mit meinem Bauch war ich ja fast schon Konkurrenz für unsere Trainer."

An seiner Technik hat er auch gefeilt und seine Wettkampfstrategie verändert. Im vergangenen Jahr hatte er sich auf der internationalen Bühne noch eher rar gemacht, ehe er dann bei der WM wie aus dem Hinterhalt nach dem Gold griff. Dieses Jahr nahm er an vielen Meetings teil, sammelte Siege und Spitzenweiten. Es funktionierte. Ende Juli erzielte er in London seine persönliche Bestweite, der Durchschnitt seiner fünf besten Wettkampfergebnisse ist besser als seine Bestweite 2013 - "über 21,80", wie er selbst vorrechnet. Und er spürte, wie durch die Wettkämpfe seine Routine wuchs.

"Mich überrascht nichts mehr", sagt er. Da kann man schon verstehen, dass David Storl nicht einfach nur Europameister werden wollte in Zürich. Er wollte brillant sein, er wollte seine Grenzen neu definieren. "Ich bin Athlet", sagt er, "ich vergleiche mich immer mit meinen eigenen Leistungen."

Er wird es verschmerzen, an diesem Abend nur ein halbwegs normaler EM-Gold-Junge gewesen zu sein und keiner für den Gipfel seiner kleinen Kugelstoß-Welt. Nach Stand der Dinge wird der junge Akkordgewinner Storl noch ein paar Gelegenheiten bekommen, sich selbst zufrieden zu stellen. Und er klang auch schon wieder ganz versöhnlich, als er ankündigte: "Jetzt bleibe ich noch ein paar Tage in Zürich und genieße die Meisterschaft." ​

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