Süddeutsche Zeitung

Leichtathlet Nick Symmonds:"Pussy! Lügner! Drecksack!"

Lesezeit: 4 min

Von Johannes Knuth, München

Kurz nach dem Startschuss befielen Nick Symmonds dann doch leichte Zweifel. Die 800-Meter-Läufer hatten gerade ihren Endlauf bei den Trials aufgenommen, den amerikanischen Leichtathletik-Meisterschaften, und Symmonds, 31, der Routinier, der fünfmalige Meister, klemmte sich mit Mühe an den Rest des Feldes. 300 Meter vor dem Ziel war er noch immer Letzter, aber dann. Dann schob er sich auf der Zielgeraden doch noch auf den ersten Platz. "Ich hasse es, das Feld von hinten aufzurollen", sagte er später, "aber du musst die Karten ausspielen, die man dir gegeben hat."

Symmonds wusste noch nicht, dass er sich bald in einem ähnlichen Wettstreit wiederfinden würde, diesmal gegen weitaus mächtigere Gegenspieler.

Nicholas "Nick" Symmonds ist einer der besten Mittelstreckenläufer, die sie in den USA haben. 2013 wurde er bei der WM in Moskau über 800 Meter Zweiter. Als aktueller Meister hätte er auch die Weltmeisterschaft in Peking mitgestalten dürfen, die am Samstag anbricht. Wer sich als US-Athlet der WM-Reisegruppe anschließen möchte, muss eine Athletenvereinbarung des nationalen Verbandes (USATF) unterzeichnen, wie vor jedem Großereignis. Darin steht: "Ich werde mich angemessen und respektvoll für alle Team-Anlässe kleiden, werde die von USATF bestimmte Team-Kleidung tragen." Das Wort "Team" haben sie in der amerikanischen Fassung großgeschrieben, es ist wohl ein bewusster Rechtschreibfehler.

Ein Logo trägt er als Tattoo

Sponsor dieses Teams ist Sportartikelhersteller Nike. USATF und Nike haben ihre Partnerschaft vor Kurzem um 23 Jahre verlängert, bis 2040. Nike überweist dem Verband dafür angeblich 20 Millionen Euro pro Jahr; für die notorisch erfolgreiche, in den USA aber notorisch unbeachtete Leichtathletik ist das viel Geld. Nike unterstützt auch einzelne Athleten, Symmonds war so ein Nike-Athlet, bis vor zwei Jahren. Dann schloss er sich dem Ausrüster Brooks an.

Als Symmonds vor etwa einer Woche dann das Athletenpapier unterschreiben sollte, kritisierte er, der Verband könne je nach Laune entscheiden, was ein "Team-Anlass" sei. Bei der Hallen-WM 2014, sagte Symmonds, wurde er von diversen USATF-Leuten sogar verwarnt, "weil ich mir in Kleidern meines eigenen Sponsors einen Kaffee geholt habe". Symmonds forderte, der Verband möge die Passage präzisieren. Der Verband lehnte ab. Das ginge so schnell nicht. Symmonds ist ein Athlet, der sich als Unternehmer begreift, er testet die Grenzen gerne aus; vor drei Jahren ließ er sich das Logo einer Designfirma auf die Schulter tätowieren, die Firma überwies ihm dafür 11 000 Dollar. Er wusste nun, dass ihn der Verband aus der WM-Mannschaft werfen würde, sollte er die Vereinbarung nicht unterschreiben.

Symmonds unterschrieb nicht.

Seitdem führen Athleten und Funktionäre in den USA einen angeregten Diskurs darüber, wie gerecht der Verband seine Athleten behandelt. Ungerecht, sagt Symmonds. Er zitiert eine Studie des Wirtschaftsprofessors Andrew Zimbalist. USATF, heißt es dort, horte das Geld, zweige kümmerliche acht Prozent seiner jährlichen Einkünfte von rund 40 Millionen Dollar an die Sportler ab. Alles gerecht, sagt dagegen der Verband. 50 Prozent der Einnahmen flössen an die Athleten; es gehe ja nicht nur um Preisgeld, sondern auch um Reisekosten, Versicherungen und TV-Produktionen. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen, aber das ist nicht das einzige Problem. Der Verband behandelt seine Athleten wie unabhängige Unternehmer, sie dürfen Sponsoren akquirieren, um über die Runden zu kommen, doch das ist eine künstliche Unabhängigkeit. Bei Olympia und Weltmeisterschaften, auf den großen Bühnen des Sports, müssen die Athleten den Dresscode des Verbands respektieren. Und Lauren Fleshman, eine amerikanische Läuferin, sagte vor Kurzem dem Magazin Sports Illustrated: "Wenn es darum geht, die Verträge einzuhalten, benehmen sich Nikes Marketing-Leute wie Gangster."

Nike und die USATF vermählten sich 1991, das Unternehmen zahlte damals eine Million Dollar, um den Verband auszustatten, damals für zehn Jahre. Manche sagen, das Unternehmen sei das Beste und gleichzeitig das Schlechteste, was dem Verband widerfahren konnte. Nike finanziert Wettkämpfe, unterhält drei Läuferenklaven, darunter das Nike Oregon Project (NOP), über dem zuletzt dunkle Wolken von Dopingverdächtigungen aufzogen. Dann ist da diese auf 23 Jahre währende Verlängerung, die USATF-Vorstand Max Siegel zuletzt einfädelte. Dass Siegel gleichzeitig einen Nascar-Rennstall besitzt, der von Nike alimentiert wird? Dass das Verbandsgremium, das den Deal abnickte, von Steve Miller geleitet wird, einem ehemaligen Nike-Mitarbeiter? Passt schon.

Nike, sagen manche, regiert die US-Leichtathletik, das geht bis zu angeblichen Todesdrohungen. Ende Juni, bei den Trials, gab es einen Streit zwischen John Capriotti und Danny Mackey. Capriotti verantwortet bei Nike das globale Leichtathletik-Geschäft, er verfügt über jeden Dollar, den das Unternehmen in den Sport leitet. Mackey betreut diverse Athleten von Brooks. Manche sagen, der Streit drehte sich um Ausrüsterverträge, andere, Mackey habe im Zuge der Dopingverdächtigungen rund um das NOP pikante Details ausgeplaudert. Mackey meldete das Ganze jedenfalls der Polizei, das Protokoll trägt die Nummer 15-0957, die Internetseite LetsRun.com hat es am Wochenende veröffentlicht:

Capriotti: "Du weißt genau, was du angestellt hast. Ich bringe dich verdammt noch mal um!"

Mackey: "Du willst mich umbringen? Wegen was?"

Capriotti: "Wage es verdammt noch mal nicht, mich anzulügen."

Mackey: "Ich habe keine Ahnung, wovon du redest."

Capriotti: "Pussy! Lügner! Drecksack! Lass uns rausgehen und das verdammt noch mal regeln!"

Der Verband darf in den Tagen vor der WM nun also zwei pikante Diskussionen moderieren. Im Fall Capriotti mag gerade niemand etwas sagen, auch Capriotti schweigt. Und Symmonds, teilte USATF-Sprecherin Jill Geer am Wochenende mit, habe in seinen Ausführungen übertrieben. Es gebe Unklarheiten, ja, aber man sei diesbezüglich verhandlungsbereit. Aber vielleicht kommt es in diesem Fall ja gar nicht so sehr darauf an, wie Symmonds seine Nachricht überbrachte. Sondern darauf, dass ein Athlet auf etwas Unabhängigkeit in einem Geflecht voller Abhängigkeiten pocht.

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Quelle:
SZ vom 17.08.2015
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