Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Unfriedliche Verhältnisse

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Der grassierende Misserfolg der Traditionsvereine ist ein populäres Thema. Jeder Klub hat seine Geschichte, der 1. FC Köln arbeitet noch daran - mit verstörender Orientierungslosigkeit.

Von Philipp Selldorf

Die virtuelle Mitgliederversammlung von Hertha BSC begann am vergangenen Sonntag um elf Uhr vormittags mit einem, so die Tagesordnung, "emotionalen Clip mit Jubel- und Spielszenen aus der vergangenen Saison". Gemäß dem bescheidenen Ertrag der Berliner handelte es sich um einen Kurzfilm, und auch die weitere Veranstaltung war zügig erledigt. Um 14:09 Uhr wünschte der Versammlungsleiter den 2619 Mitgliedern "einen schönen Restsonntag".

Die Kollegen in Gelsenkirchen haben ganz andere Erwartungen an ihren am nächsten Sonntag stattfindenden Konvent. Schalke 04 empfängt die Gemeinde bereits um 9:04 Uhr an den Bildschirmen, und es gibt Verantwortliche, die sich sorgen, dass um Mitternacht womöglich immer noch nicht alle Beschlüsse gefasst sind. Dann könnten Ergebnisse anfechtbar sein. Schalke rechnet mit bis zu 70000 Teilnehmern und einer Flut von Wortmeldungen, auch technische Attacken zum Zweck der Sabotage werden befürchtet. Nicht vom russischen Geheimdienst, der an der Destabilisierung von Schalke 04 wahrscheinlich kein Interesse hat, sondern von kritischen Fundamentalisten.

In Köln wird man das alles interessiert verfolgen. Eine weitere Woche danach tagt auch die FC-Familie, die womöglich noch uneiniger und zerstrittener ist als die traurige Schalker Sippe. Mit Turbulenzen muss gerechnet werden. Der 1. FC Köln hat zwar den Abstieg abgewendet, die Klubführung hat es dann aber gleich geschafft, die Freudenfeier zu verderben, indem sie den Manager Horst Heldt auf stillose Weise vor die Tür setzte. Zwei Stunden ließ das Präsidiumstrio den Geschäftsführer über die Saison referieren - um ihm dann mitzuteilen, dass seine Entlassung längst beschlossene Sache sei. Heldt sei "ein echt guter Typ, ein Typ, den man mag", erläuterte Vizepräsident Eckhard Sauren später, deswegen habe man die Prozedur "so würdevoll und menschlich wie möglich" gestalten wollen. Das Gegenteil kam dabei heraus, eine beachtliche Leistung.

Auch beim Umgang mit dem Retter Friedhelm Funkel tat sich das Missverständnis der Kluboberen vom echten Fußball-Leben auf. Kontakt zum Trainer mieden sie während der sieben Wochen seines Sondereinsatzes so konsequent, dass sie nicht mal persönlich gratulierten. Eine Text-Nachricht vom Präsidenten, das war's. Begründung: Man habe den Coach nicht bei der Arbeit stören wollen. Der FC sei doch ein Sportverein, der von Nähe und Emotionen getragen werde, zeigte sich Funkel befremdet.

Die Episoden um Heldt und Funkel zeugen von grundsätzlichen Orientierungsproblemen im Gemeinwesen am Geißbockheim. Neben einem Sportverein ist der FC das Versuchsobjekt eines sportpolitischen Projekts. Außer dem Vorstand entscheidet über den Klub ein Gemenge aus Gremien, die unter anderem die Wirtschaft und die Mitglieder repräsentieren. Besonders die selbst- und machtbewusste Mitgliedervertretung dirigiert den Vorstand und diktiert einschränkende Maßgaben: Investoren gelten als tendenziell verwerfliche Elemente, man unterscheidet zwischen gutem und bösem Geld. Wie beruhigend das Kapital eines Investors wirken kann, sieht man allerdings an den friedlichen Verhältnissen bei der Hauptstadt-Hertha.

Dass die Kölner Finanzlage extrem bedrohlich ist, hat die Führung nicht davon abgehalten, den Manager abzusetzen und an seiner Stelle auf unabsehbare Zeit eine Behelfslösung zu platzieren. Zugleich wird eine Unternehmensberatung beauftragt, einen Sieben-Jahres-Plan für den FC zu entwerfen, was schon in der DDR keine gute Idee war, im kurzatmigen Fußballgeschäft aber erst recht eine irreale Vision darstellt.

Der grassierende Misserfolg der Traditionsvereine ist nach den Abstiegen von Schalke und Werder Bremen und dem Scheitern des Hamburger SV zuletzt ein populäres Thema gewesen. Jeder Klub hat dabei seine eigene Geschichte, der 1. FC Köln arbeitet noch daran.

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