Süddeutsche Zeitung

Jürgen Klinsmann:Zu viel Fitness und Yoga - zu wenig Taktik

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Im WM-Qualifikationsspiel gegen Costa Rica steht die amerikanische Nationalelf unter Siegzwang. Da passt es gar nicht, dass gerade darüber berichtet wird, was angeblich schiefläuft unter der Regie von Jürgen Klinsmann. Der Artikel ist eine Art Bankrotterklärung für die Arbeit des Trainers.

Jürgen Klinsmann versuchte gar nicht erst, den Ernst der Lage herunterzuspielen. Die Fußball-Nationalmannschaft der USA, gab ihr Trainer zu verstehen, ist in einer "must-win-situation": Im WM-Qualifikationsspiel am Freitag in Denver/Colorado gegen Costa Rica stehen er und seine Spieler unter Siegzwang. Jedes Heimspiel im "Hexagonal" sei zwar eine solche "must-win-situation", erläuterte Klinsmann - doch das gilt dieses Mal ganz besonders. Vor allem für ihn.

Die WM-Qualifikation für Nord- und Mittelamerika wird in der letzten Runde in einer Sechser-Gruppe (Hexagonal) ausgetragen, die drei Erstplatzierten qualifizieren sich dabei direkt für Brasilien, der Viertplatzierte spielt ein Play-off gegen den Ozeanien-Sieger. Die USA haben das erste Spiel Anfang Februar in Honduras verloren, 1:2, es war peinlich.

"Ich bin zuversichtlich, dass wir es am Freitag schaffen", versicherte Klinsmann. Dabei fehlen ihm gleich acht potenzielle Stammspieler, unter anderem die Bundesliga-Profis Steven Cherundolo (Hannover 96) oder Timothy Chandler (1. FC Nürnberg). Und unabhängig davon hat er wohl noch größere Probleme: Die Sporting News berichten in ihrer neuesten Ausgabe über vieles, was angeblich schief läuft unter der Regie von Klinsmann.

Der Autor hat demnach mit insgesamt 22 Nationalspielern oder Betreuern gesprochen. Namen werden in dem Artikel ("friendly fire") nicht genannt, die Zitate aber decken sich mit Beobachtungen - und ihre Wirkung könnte verheerend sein: Der Artikel ist eine Art Bankrotterklärung für die Arbeit von Klinsmann. Diesem, so der Hauptvorwurf, mangele es an der Fähigkeit, die richtigen taktischen Maßnahmen zu ergreifen - erst recht während eines Spiels.

Martin Vasquez, Klinsmanns Assistent schon einst beim FC Bayern, sei "ein netter Kerl, aber überfordert". Seit seinem Dienstbeginn im August 2011 hat Klinsmann praktisch jeden Stein bei der US-Nationalmannschaft umgedreht - entsprechend umfangreich ist die Kritik. Zu viel Fitness, Yoga, Ernährungsregeln und so weiter - zu wenig Führung, Kommunikation, Taktik.

"Haben Sie das Buch von Lahm gelesen?", fragte einer der von Sporting News befragten Protagonisten. In seinem Buch "Der feine Unterschied" hatte Lahm Klinsmanns taktische Mängel angeprangert. Klinsmann wehrte sich. Die Vorwürfe von Lahm konterte er damals mit dem Hinweis, Lahm sei Spieler, kein Trainer, er sehe das große Ganze nicht.

Jetzt sagt er zu der Kritik aus seinem Umfeld: "Diese Kommentare sind doch normal. Das Team ist in einer Übergangsphase." Den Vorwurf, beim 1:2 in Honduras habe keiner gewusst, was er zu tun habe, erwiderte er mit den Worten: Seine Spieler hätten immer alle Informationen, die sie benötigten, und diese seien "sehr genau".

Im Moment sieht es so aus, als verliere Klinsmann zumindest ein paar Spieler, vielleicht die ganze Mannschaft. Viele Sympathien und Verständnis hat ihn die Entscheidung gekostet, den nicht fitten Mannschaftskapitän Carlos Bocanegra unter dem Vernehmen nach eher unwürdigen Umständen vorerst aus dem Kader zu streichen.

Clint Dempsey wird gegen Costa Rica der Kapitän sein, in einem Spiel, in dem wegen der vielen Ausfälle eine unerfahrene B-Mannschaft auflaufen muss. Michael Bradley, früher bei Borussia Mönchengladbach und Sohn von Klinsmanns Vorgänger Bob Bradley, nennt die anonymen Vorwürfe der Mannschaftskollegen "beschämend und peinlich" - dementiert hat er sie nicht.

All das ändert nichts daran, dass das US-Team sein Heimspiel am Freitag gewinnen muss. Denn danach folgen zwei Auswärtsspiele. Das erste davon schon am Dienstag - beim Erzrivalen Mexiko.

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Quelle:
SZ vom 22.03.2013
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