Süddeutsche Zeitung

Judo:Aus der Boutique zu Judo-Gold

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Von Sebastian Fischer, Budapest/München

Der beste Judoka der Welt in der Klasse bis 81 Kilogramm hat bis vor Kurzem Kindermode verkauft. "Bio-Baumwolle, Cashmere, tolle Stoffe", sagt Alexander Wieczerzak. Er hatte mit seiner Freundin eine Boutique eröffnet, nach einem Jahr schlossen sie wieder, der Aufwand war zu hoch. "Ich ordne alles dem Judo unter", sagt er. Seit Donnerstag kann er behaupten, dass es sich lohnt. Endlich wieder.

Es war eine Überraschung, dass sich Wieczerzak bei der WM ins Finale kämpfte. Auf dem Weg besiegte der gebürtige Frankfurter, Nummer 124 der Weltrangliste, den Olympiasieger Hassan Chalmursajew. Im letzten Kampf zwang er den Italiener Matteo Marconcini mit einem Würgegriff zur Aufgabe, gewann Gold, die erste Medaille für den Deutschen Judo-Bund in Budapest, und weinte vor Rührung. "Das ist deine Belohnung", sagte er sich. Und er dachte an die Menschen, die an ihn geglaubt hatten. Die wenigen.

Wieczerzak, U 20-Weltmeister 2010, galt als Hoffnung in der Gewichtsklasse, die sie beim DJB "unsere" nennen: Frank Wieneke und Ole Bischof sind Olympiasieger, Florian Wanner war 2003 der letzte Weltmeister. Wieczerzak wurde zwar Dritter bei den Europaspielen 2015, doch ihn bremsten Verletzungen: Rippenbruch, Ellbogen-OP, Bänderriss im Knie, Dengue-Fieber. Er verpasste Olympia in Rio. Vor allem aber vermisste er unter Bundestrainer Detlef Ultsch das Vertrauen. Doch seit Ende 2016 heißt der Bundestrainer Richard Trautmann. Und eine außergewöhnliche Trainer-Athleten-Beziehung fand ihre Fortsetzung.

Wiederentdeckung auf Teneriffa

Trautmann war Wieczerzaks Bundestrainer in der U 17, er warf ihn wegen Disziplinlosigkeiten aus dem Kader, aber glaubte immer an sein Talent. Gemeinsam gewannen sie 2010 bei der U 20-WM, dann trennten sich die Wege zunächst. "Er hat mit ganz großen Zweifeln zu kämpfen gehabt", sagt Trautmann, der seinen alten Schüler stagnieren sah.

Sie flogen in diesem Jahr zum Konditionstraining nach Teneriffa, schon da erkannte der Trainer seinen alten Athleten wieder: Wieczerzak wurde einfach nicht müde. Vier Wochen reisten sie für Übungskämpfe nach Japan und Korea, erweiterten sein Technikprofil und arbeiteten an seinen Stärken, der Kampferöffnung, der taktischen Disziplin. "Es war für ihn ein Neuanfang", sagt Trautmann.

Wieczerzak gewann im Juni ein Turnier in Slowenien, ein unbedeutendes, doch die Zweifel waren weg. Und am Donnerstag, als außer seinem Trainer immer noch niemand mit ihm rechnete, setzte er alles wie geplant um, jeden Rat, jede Gegneranalyse. Wieczerzak schwärmt vom "perfekten Team", von Psychologen und Physiotherapeuten. Doch am Ende fiel er natürlich seinem Trainer in die Arme. Trautmann sagt: "Es war ein Déjà-vu."

Eine Boutique, sein BWL-Studium, das sind Gedanken für die fernere Zukunft. Alexander Wieczerzak denkt nun an Olympia 2020.

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Quelle:
SZ vom 02.09.2017
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