Süddeutsche Zeitung

José Mourinho:Standpauke als Ablenkungsmanöver

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Der Portugiese legt sich wieder mit dem britischen Boulevard an. Unübersehbar ist trotzdem: Manchester United stagniert - der Trainer gilt als Entlassungs­kandidat.

Von Sven Haist, Manchester

Die Konfliktbereitschaft war José Mourinho anzusehen. Schon während des Fernsehinterviews, bei dem Mourinho die Einstiegsfrage des Reporters mit einer Gegenfrage konterte, war klar, dass in der nachfolgenden Pressekonferenz gleich mehr aus ihm herauszuholen sein würde als die üblichen Banalitäten im Nachlauf eines Fußballspiels. Die gereizte Gemütslage ergab sich bei Mourinho eine Stunde vor Mitternacht aus den Gefühlen des Stolzes, der Emotionalität und des Misserfolgs nach der höchsten Heimniederlage und dem schlechtesten Saisonstart in seiner 18 Jahre andauernden Trainerkarriere. Mit der rechten Hand fuhr sich der Portugiese im Mediengespräch mehrmals über den Hals, vermutlich auf der Lauer nach dem richtigen Zeitpunkt zur Intervention. Nach sieben Fragen hatte Mourinho, der Coach des ruhmreichen Manchester United, genug gehört und setzte an zu einer 200 Sekunden dauernden Standpauke.

Aus dem Monolog entwickelte sich mit jedem weiteren Einwand der Berichterstatter ein Streitgespräch, bei dem Mourinho die Nerven verlor. Als ob er seine Aussage bezeugen wollte, hielt er zu seiner Schimpftirade drei Finger in die Luft: "Um jetzt Schluss zu machen, kennt ihr das Resultat? 0:3. Wisst ihr, was das ist? 0:3", sagte Mourinho, "aber das bedeutet auch drei englische Ligatitel. Und ich habe mehr englische Ligatitel als die anderen 19 Ligatrainer zusammen. Drei für mich, und zwei für sie. Respekt. Respekt. Respekt, Mann. Respekt. Respekt. Respekt." Die beiden finalen Wortwiederholungen rief Mourinho seinen Widersachern hinterher, als er den Presseraum bereits verlassen hatte.

Zur Eskalation zwischen Mourinho, 55, und dem britischen Boulevard führte die unterschiedliche Auffassung über die Reaktion des Publikums bei Manchester Uniteds 0:3 im Heimspiel gegen das verlustpunktfreie Tottenham Hotspur. Durch das erbärmliche 2:3 in der Vorwoche bei Brighton hat der Rekordmeister mit nur einem Sieg aus den ersten drei Spielen den miesesten Ligabeginn hingelegt seit der Saison 1992/93. Zur Meisterschaft reichte es damals übrigens trotzdem. Und nun? Einige Fans bedachten die Mannschaft am Montag mit Applaus, ungeachtet der 50. Niederlage im Old Trafford in der Premier League. Auf dem Weg zum Stadionausgang blieb Mourinho deshalb vor dem Stretford End stehen, um die Wertschätzung ebenfalls mit Applaus zu honorieren. Allerdings zog es der überwiegende Teil der 74 400 Zuschauer vor, sich nach dem dritten Gegentor in der Schlussphase - mitunter in Tränen aufgelöst - auf die Heimfahrt zu begeben. "Ich würde dasselbe tun, weil ich weiß, dass es nach dem Spiel zwei Stunden dauert, um vom Stadion ins Stadtzentrum zu kommen. Die Spieler bekamen Beifall, weil sie es verdient hatten. Also versucht es weiter (Fragen zu stellen, d. Red.)", giftete Mourinho: "Ihr wollt die Geschichte des Spiels transformieren. Ihr wollt die Pressekonferenz umwandeln in eine Situation des 'Lasst uns den Kerl beschuldigen'. Es ist Zeit, mit den Unwahrheiten aufzuhören. Das Team ist vereint. Keine Einigkeit ohne den Trainer. Heute habe ich den Beweis bekommen, dass die Fans der beste Richter im Fußball sind."

Die Spekulationen um eine Ablösung von Mourinho, der bei den Buchmachern als Favorit auf die erste Entlassung der Saison gilt, prallten am Dienstag dem Vernehmen nach bei den Klubbossen um Geschäftsführer Ed Woodward ab; obwohl Woodward mit Mourinho bereits aneinandergeraten war, und zwar über das Ergebnis der vergangenen Transferperiode. Die kostspieligen Zugänge Fred (60 Mio. Euro/Schachtjor Donezk) und Diogo Dalot (22 Mio. Euro/FC Porto) waren Mourinho nicht genug, nachdem er seit seinem Amtsbeginn 2016 mehr als 400 Millionen Euro an Ablöse für neue Spieler ausgeben durfte. Darunter fielen die Transfers der Innenverteidiger Eric Bailly und Victor Lindelöf (zusammen 75 Mio. Euro). Im bisherigen Saisonverlauf hat Mourinho in jedem Spiel seine Abwehr ausgetauscht, die neun Änderungen in der Startelf sind unerreicht in der Liga. Gegen Tottenham rückte Ander Herrera aus dem Mittelfeld in die neue Dreierkette, was beim zweiten Gegentor zu Chaos führte. Erst beachtete Herrera eine Abseitsfalle seiner Kollegen nicht, beim Torschuss durch Lucas Moura (52.), der später einen Alleingang erfolgreich abschloss (84.), drehte Herrera dem Ball den Rücken zu und bekam ihn durch die Beine. Und beim Kopfballtor von Harry Kane wurde Phil Jones nach dem ersten Eckball für die Spurs in die Irre geführt (50.). Mourinhos Erklärung: "Aus strategischer Sicht haben wir nicht verloren. Aus taktischer Sicht haben wir nicht verloren. Aber wir haben das Spiel trotzdem verloren."

Letztlich schaffte er es wieder, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und damit abzulenken von seiner inhaltlichen Arbeit bei United. In den bisherigen zwei Jahren hat sich der Klub mit ihm nicht über die Maxime des Irgendwie-Gewinnens hinausentwickelt. Das bekommt Mourinho nun zu spüren, da das Gewinnen ausbleibt.

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SZ vom 29.08.2018
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