Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Joachim Streich:Der Held im Schatten

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Joachim Streich wurde "Gerd Müller des Ostens" genannt, war Rekordtorjäger und -nationalspieler der DDR. Aber eines war er nicht: ein Schwätzer, ein Poser. Die Leute haben ihn geliebt.

Nachruf von Holger Gertz

Gibt eine schöne Geschichte über Joachim Streich, das Detail erzählt ja immer viel übers Ganze. Also, nach einem Länderspiel der DDR gegen England hat Streich sein Trikot mit seinem Gegenspieler getauscht, andere hängen sich so was dann gerahmt an die Wand oder haben einen Trophäenschrank dafür. Streich aber hat das getauschte Trikot als Arbeitsshirt benutzt, als er seinen Bungalow gestrichen hat.

Der instinktsichere Stürmer Streich nahm sich nicht so wichtig und auch nicht die in der Karriere zusammengesammelten Reliquien. Rekordtorschütze der Oberliga (229 Tore), Rekordtorjäger der DDR-Nationalmannschaft (55 Tore), Rekordnationalspieler, Olympia-Bronze 1972. Aber gleichzeitig ein Mann des Volkes, geerdet, gelernter Schaltanlagenmonteur. So ähnlich wie Gerd Müller, der gelernter Weber und immer auch ein Mann des Volkes war. Joachim Streich, Goalgetter in Rostock und Magdeburg, wurde "Gerd Müller des Ostens" genannt, das sollte ein Lob sein, klang aber - aus Wessi-Mund gesprochen- zugleich auch etwas herablassend. Warum kann einer nicht der sein, der er ist? In der DDR waren sie aber sowieso überzeugt, dass es andersrum war. Müller? Der Streich des Westens.

In der BRD haben sich andere DDR-Fußballer noch mehr ins kollektive Gedächtnis eingebrannt, vor allem einer: Jürgen Sparwasser, der bei der Weltmeisterschaft 1974 in Hamburg das einzige Tor zum Sieg der DDR im einzigen Länderspiel zwischen den zwei Deutschlands erzielt hatte. Eine historische Partie, auch wichtig für den Turnierverlauf. Ohne diesen Warnschuss wäre die schon etwas satte Beckenbauer-Truppe womöglich nie Weltmeister geworden. Ausgerechnet bei diesem Spiel saß Joachim Streich auf der Auswechselbank. Dafür hatte er vorher gegen Australien den ersten eigenen WM-Treffer der DDR geschossen, halb im Fallen traf er in den Winkel, ein Traumtor des Mannes, der den Ball aber auch maximal vehement in den Kasten treten konnte: Der Strich von Streich war legendär.

Experten sagten ihm gelegentliche Lauffaulheit nach, das Manko glich er aus durch seinen Torriecher. Zweimal DDR-Fußballer des Jahres, nach Ansicht von Kennern hätte er auch das Zeug gehabt, Europas Fußballer des Jahres zu sein, aber dafür war der Fußball im deutschen Osten dann doch zu wenig schillernd, die Liga zu unbedeutend. Streich war Held und blieb im Schatten, was ihm grundsätzlich nicht unlieb war. Ein gerader Mann aus dem Norden, man hört das in den alten Interviews: kein Schwätzer, kein Poser. Die Leute haben ihn geliebt.

Der Trainer Streich war nicht so glücklich wie der Spieler Streich

Kaum war die Spielerzeit 1985 vorbei, wurde Streich sofort und übergangslos Coach in Magdeburg, auf Anweisung von oben. Er wollte nicht, jedenfalls nicht so früh. Nach der Wende landete er als erster Ost-Trainer im deutschen Profifußball, bei Eintracht Braunschweig. Aber der Trainer Streich war nicht so glücklich wie der Spieler Streich, und der Wechsel in den Westen war nicht einfach, die Bundesliga war noch nicht der Showbetrieb von heute, aber schon auf dem Weg dahin. Streich trainierte Braunschweig nur neun Monate. Seine Bilanz war bitter: "Wir Ost-Trainer waren zu anständig, zu leise - fachlich gut sein reicht nicht, du musst dich verkaufen können." Eine gewisse Parallele zu Hans-Jürgen "Dixie" Dörner, den sie "Beckenbauer des Ostens" nannten. Er schaffte es als Trainer bei Werder Bremen nicht.

Streich ging zurück in den Osten, aber er wurde als Trainer nicht glücklich, und dann hörte er auf und ging zurück an die Basis. Er arbeitete bis zur Rente in einem Sportartikelfachgeschäft. Ein Mann, der zu den besten Vollstreckern Europas gehörte, ein Idol des DDR-Sports, verkaufte Fußballschuhe.

Als in der NDR-Reportagereihe "Sportclub-Story" vor Jahren eine schöne Doku über Streich gesendet und später bei YouTube gezeigt wurde, kommentierte einer drunter: "Vor Jahren war ich mit meiner kleinen Tochter im Sportgeschäft, um Inlineskater zu kaufen. Plötzlich bedient uns Joachim Streich, ich denke, ich sehe nicht richtig. Er war extrem höflich und geduldig mit den Wünschen meiner Tochter. Das hat mich sehr beeindruckt."

Ganz sicher, das hätte ihm gefallen. In der Nacht auf Samstag ist Joachim Streich nach langer Krankheit gestorben, er wurde 71 Jahre alt. Ein Mann, der viel mehr war als der Müller des Ostens. Der Kölner Trainer und gebürtige Rostocker Steffen Baumgart sagte am Samstag bei Sky, traurig und live: "Wenn wir früher auf dem Bolzplatz gespielt haben, war ich Achim Streich."

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