Süddeutsche Zeitung

Jahn Regensburg:Das Geheimnis des Tormanns beim Elfmeter

Lesezeit: 3 min

Alexander Meyers Entwicklung zur Regensburger Führungskraft.

Von Johannes Kirchmeier

Einen Spalt öffnet Alexander Meyer die Tür in seine Gedankenwelt. Auch wenn er findet, dass es eigentlich gar keine richtige Erklärung gebe. Keine Erklärung dafür, dass der Torwart die letzten drei Elfmeter gegen seinen SSV Jahn Regensburg in der zweiten Liga allesamt gehalten hat. Dafür, dass er auch im Testspiel vor der neuen Saison gegen den Linzer ASK einen Strafstoß entschärfte. Und dafür, dass er nun am vergangenen Wochenende im DFB-Pokal beim 1. FC Kaiserslautern zum Jahn-Helden wurde und den Klub nach drei Jahren wieder in die zweite Runde führte. Vier von Fünf Mal sprang er im Elfmeterschießen in die richtige Ecke, zwei Elfer hielt er. Nach Zufall hört sich das nicht unbedingt an: "Ich habe natürlich mein Geheimnis", sagt Meyer, er klingt ganz zufrieden. "Aber das würde ich gerne für mich behalten, weil ich ja noch ein paar weitere Elfmeter halten möchte."

Zumindest eine kurze Wegstrecke nimmt er einen mit in seine Gedankenwelt. Auf die Reise, die ein Torhüter bis zum Elfmeter macht. Sie beginnt weit vor der Eins-gegen-eins-Situation, weit vorm Spiel. Mit Videoschnipseln. Selbst ist der Torwart! Vorbei die Zeit, in der ein Trainer dem Schützling einen Zettel zusteckte - wie Andreas Köpke dem Schlussmann Jens Lehmann bei der WM 2006. Meyer schaut sich Videos seiner möglichen Konkurrenten an und ruft die im Moment des Ernstfalls ab, so wie Skiläufer oder Bobfahrer sich die tückischen Stellen und Kurven ihrer Strecke einprägen. Zudem blickt er dann dem Ausführenden auf die Füße, achtet darauf, wie er anläuft, und bleibt möglichst lange in der Mitte stehen. Es seien viele kleine Faktoren, die da in Sekundenbruchteilen zusammenkommen. Dass der 29-Jährige gerne mal Poker spielt, könnte ihm vielleicht auch entgegenkommen. Ebenso wie seine Größe: Wenn der 1,95-Meter-Mann in die richtige Ecke springt, dann helfen ihm seine langen Arme zusätzlich. Am Ende aber habe alles mit Glück und Pech zu tun: "Wenn der Schütze richtig gut schießt, dann kann kein Torwart der Welt was machen", sagt er. Damit endet Meyers Gedankenreise.

An diesem Freitag (18.30 Uhr) starten er und sein Klub im bayerischen Derby gegen den 1. FC Nürnberg in die neue Zweitliga-Saison. Der Torwart ist noch ungeschlagen gegen die Franken, besiegte sie im Sommer 2012 bei 40 Grad Celsius im Pokal mit dem TSV Havelse, in der Vorsaison schaffte er zwei Remis mit dem Jahn. In Nürnberg bereitete er in der Nachspielzeit gar das 1:1 von Jan-Marc Schneider per Kopf vor: "Das war einfach der Wahnsinn - auch die Jubelszenen mit den 3000, 4000 Fans aus Regensburg, das lief wie im Film ab." 3000 Jahn-Anhänger erwarten ihn wieder, es ist virusbedingt (ohne Gästefans) das erste echte Heimspiel gegen den FCN seit langem. Eigentlich tummeln sich ja stets mehr Auswärtsfans im Jahnstadion, die Oberpfalz ist Glubberer-Einzugsgebiet.

Als Meyer vor einem Jahr vom VfB Stuttgart nach Regensburg kam, da war das ein symbiotisches Zusammentreffen. Für den Bad Oldesloer war es eine der letzten Chancen, im Profitum anzukommen, nachdem er sich zuvor fast jährlich verletzt hatte und sich so nirgendwo richtig festbiss. Und der Jahn brauchte dringend Ersatz für den Aufstiegshelden Philipp Pentke. Der hatte in der heißesten Phase der Relegation 2017 gegen den TSV 1860 die Schalensitze aus dem Strafraum der Fröttmaninger Arena geräumt, war vor einem Jahr aber in die Bundesliga nach Hoffenheim gewechselt. Meyer ließ dann keinen Zweifel am Status als Nummer eins aufkommen, absolvierte vom Start weg eine weitgehend fehler- und verletzungsfreie Spielzeit: "Letztes Jahr war meine erste Profisaison als Nummer eins. Jetzt will ich auch den nächsten Schritt gehen und mehr Verantwortung übernehmen." Ein paar Stammkräfte verließen den Klub im Sommer, der Torhüter ist nun Teil des Mannschaftsrats. Geschäftsführer Christian Keller schwärmt von dessen "Coaching" auf dem Platz. Als letzter Mann überblickt Meyer das gesamte Feld - ohne Zuschauer ließ es sich zuletzt auch leicht Kommandos geben. Gerade für die Viererkette oder die Sechser sei es "wichtig, dass da hinten einer drinsteht, der sie coacht", sagt Meyer.

Er hat sich in Regensburg weiterentwickelt, ist auch selbstbewusster geworden. Bis zum Saisonende steht er unter Vertrag beim Jahn, der wieder um den Klassenverbleib kämpfen wird. Danach könnte sich Meyer vorstellen, trotzdem aufzusteigen: "Ich will das Maximum aus meiner Karriere herausholen. Und da ist es natürlich mein Ziel, vielleicht auch einmal in der ersten Liga zu spielen." Die Möglichkeit, sich dafür zu empfehlen, bietet der SSV: siehe Pentkes Lebenslauf. Und ein paar weitere gehaltene Elfmeter dürften auch nicht hinderlich für mögliche Karriereschritte Meyers sein.

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SZ vom 18.09.2020
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