Süddeutsche Zeitung

Island bei der Fußball-EM:Laut und blau

Lesezeit: 2 min

Fünf triftige Gründe, weshalb die Isländer (und ihre Fans) das bislang geilste Team der Fußball-EM sind.

Von Carsten Scheele

Grund 1: Weil "Áfram Ísland" so wunderbar klingt

"Áfram Ísland", das heißt so viel wie "Auf geht's, Island". Die Portugiesen kennen den Gesang jetzt genau. Sie haben ihn so oft während des Vorrundenspiels gehört, aus tausenden Wikingerkehlen, so laut, dass Islands Trainer Helmir Hallgrímsson nach dem Abpfiff ganz baff war. "Die Fans waren unfassbar, das war wie daheim", urteilte Hallgrímsson über die blaue Wand, die sich auf den Tribünen in Saint Étienne erhob und stimmungsvoll, aber gänzlich friedlich den ersten Punktgewinn des kleinen Landes bei einer EM feierte. Die Isländer sangen nicht nur, sie klatschten auch, rhythmisch und bedrohlich, über 90 Minuten. Dazu ließen sie einschüchternde Schreie los. Nur mit dem Fußballkulturgut Laola konnten sie nichts anfangen: Die wurde von der blauen Wand konsequent boykottiert.

Grund 2: Weil der Torwart ein talentierter Regisseur ist

Die Zeiten, in denen die isländische Elf aus Teilzeitfußballern bestand - der Stürmer ein Dachdecker, der Verteidiger Mathelehrer - sind vorbei. Die meisten Spieler, die in Frankreich dabei sind, verdienen ihr Geld bei Klubs in Dänemark, Schweden, Deutschland (wie der Augsburger Alfred Finnbogason) oder England. Bei Torwart Hannes Halldórsson klingt es allerdings glaubhaft, dass er nicht nur Fußball im Kopf hat: Halldórsson ist einer der bekanntesten Filmemacher des Landes. Er hat Werbespots gedreht, einen Zombiefilm, dazu ein Musikvideo für die Band "Greta Salome & Jonsi", die für Island beim Eurovision Song Contest antrat.

Bis vor Kurzem nutzte er jede trainingsfreie Minute, um am Laptop Sequenzen zu schneiden, was ihm wenig Erholung und manchmal den Spott seiner Mitspieler einbrachte. "Ich stand kurz vor einem Burn-out", erklärte Halldórsson dem Magazin 11 Freunde. Nun konzentriert er sich ganz auf den Fußball - welch ein Glück.

Grund 3: Weil Island wie Augsburg spielte

Die Spielweise der Isländer ist nicht die Revolution im Weltfußball - aber sie ist erfolgreich. Was die Nordmänner gegen die Portugiesen zeigten, erinnerte bisweilen an den FC Augsburg. Hinten dicht, dann die Bälle weit nach vorne schlagen und nachrücken - diese Taktik hatte in der EM-Qualifikation bekanntlich schon den Niederländern arge Probleme bereitet, die nun zu Hause vor dem Fernseher sitzen. Torwart Halldórsson machte gar kein Geheimnis daraus, dass sein Team in den letzten Minuten mit allen legalen Mitteln versuchte, das 1:1 zu verteidigen. Er sagte: "Die letzten 35 Minuten waren wirklich lang." Nur zu gut passte ins Bild, dass Birkir Bjarnason den Ausgleichstreffer mit dem Schienbein erzielte. Schön auch, wie der isländische TV-Kommentator dabei ausrastete:

Grund 4: Weil ein Zehntel Islands in Frankreich ist

Allein wegen dieser Zahlen muss man die Isländer lieben: Laut der Zeitung Morgunbladid haben rund 27 000 Frauen und Männer von der Insel Tickets für die EM in Frankreich gekauft. Bei circa 330 000 Einwohnern wären dies acht Prozent der Gesamtbevölkerung, die sich auf den Weg aufs europäische Festland gemacht haben. Andere Schätzungen gehen gar von zehn Prozent aus. Für die Daheimgebliebenen muss sich die Insel ziemlich leer anfühlen.

Grund 5: Weil Ronaldo den Trikottausch verweigerte

Das Kompliment des Tages für die Isländer: Cristiano Ronaldo verweigerte Aron Gunnarsson den Trikottausch. So sauer war er auf das kleine Volk. "Sie haben gar nicht erst versucht, Fußball zu spielen, sondern nur verteidigt, verteidigt, verteidigt", klagte der Weltfußballer. Und überhaupt: "Ich dachte, Island hätte den EM-Titel geholt, so wie sie nach Spielschluss gefeiert haben." Alles in allem bescheinigte Ronaldo den Isländern eine "kleine Mentalität", von ihnen sollte gewiss keiner sein Trikot als Trophäe erhalten.

Die Isländer nahmen es mit Humor, so Dagur Sigurdsson, der Nationaltrainer der deutschen Handballmannschaft, der das Spiel im Stadion verfolgte. Nach Spielschluss twitterte er ein kurzes Video, das ihn selbst breit grinsend auf der Tribüne zeigt. Nicht weit von ihm, im Hintergrund, schlich Ronaldo vom Platz in die Katakomben: Und der grinste kein bisschen.

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