Süddeutsche Zeitung

Bakery Jatta:90 Minuten lang ausgepfiffen

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Von Carsten Scheele

Bakery Jatta stoppte einen Ball - da kamen die Pfiffe. Zuverlässig, bei jeder Ballberührung. Fast über die kompletten 90 Minuten. Manche Fans des Karlsruher SC ahmten sogar eine Polizeisirene nach, wenn der HSV-Profi das Spielgerät berührte - als sei Jatta auf der Flucht, und müsse sich in Acht nehmen.

Was sich einige KSC-Anhänger bei der 2:4-Niederlage ihrer Mannschaft am Sonntag leisteten, war von anderer Dimension als viele Geschmacklosigkeiten, die Woche für Woche in deutschen Stadion zu hören sind. Da spielte ein Mann, Hautfarbe Schwarz, der vor wenigen Jahren von Gambia nach Deutschland geflüchtet ist - der es aktuell unter anderem schwer hat, weil Zweifel an seiner Identität aufgekommen sind. Jatta könnte älter sein als gedacht, hatte die Sport-Bild berichtet, zudem sei er unter falschem Nachnamen nach Deutschland eingereist. Jatta sieht sich plötzlich im Zentrum der Bericherstattung, dabei hat der laut den Behörden und dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) aktuell gültige Papiere und eine gültige Spielerlaubnis. Diese werden aber überprüft.

Hecking glaubt: "So wird das jetzt in jedem Stadion sein"

Doch einige Karlsruher Anhänger pfiffen deutlich vernehmbar. "Ein hochgradig inakzeptables Verhalten", kritisierte Sky-Kommentator Torsten Kunde, nachdem er die KSC-Fans anfangs noch gelobt hatte. Später hieß es, Jatta hätte in der zweiten Minute eine Schwalbe begangen, deshalb sei er mit Pfiffen bedacht worden. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sich ein paar Menschen ein Ventil suchten, einen Schwachen, an dem sie ihren Zorn auslassen konnten. "Rassismus pur", hieß es dazu von einem Nutzer bei Twitter. Ein anderer schrieb, die Pfiffe gegen Jatta seien "schlimmer als jede Pyrofackel".

HSV-Trainer Dieter Hecking echauffierte sich im Fernsehen: "Einen Spieler, der durch Vermutungen am Pranger steht, das finde ich irrsinnig." Dass Jatta bei jeder Ballberührung ausgepfiffen wurde, sei "einfach nur schade für den Jungen". Jatta spielte übrigens trotzdem gut, bereitete ein Tor vor. Hecking graut es vor den kommenden Spielen: "So lange das gärt, wird das jetzt in jedem Stadion so sein. Die, die weniger Verstand haben, die werden das ausnutzen wollen."

Auch KSC-Sportdirektor Oliver Kreuzer reagierte beschämt. "Das war nicht gut von unseren Fans. Da möchte ich mich auch hier dafür entschuldigen", sagte Kreuzer. Trainer Alois Schwartz erkannte ebenfalls, in welch schwieriger Situation sich Jatta derzeit befinde. An den DFB gerichtet sagte Schwartz: "Ich hoffe, dass da bald eine Regelung gefunden wird." An die eigenen Fans gerichtet: "Mit Sicherheit war das nicht sportlich."

Die Chance, ein nachhaltigeres Zeichen gegen die Anfeindungen zu setzen, verpasste die KSC-Führung aber. Wie zuvor Nürnberg und Bochum legte auch der KSC am Montag Protest gegen die Spielwertung ein, "um die Interessen des Vereins und seiner Mitglieder zu wahren", wie es in der Mitteilung heißt. Sollte Jatta seine Spielerlaubnis verlieren, könnte der KSC nun die Punkte zugesprochen bekommen. "Es geht um sehr viel. Trotzdem hätten sie es sich sparen können", beurteilte Hecking den Schritt des KSC.

Wie man es auch machen kann, zeigte Hamburgs Lokalrivale FC St. Pauli. Beide Klubs spielen zwar erst am 16. September gegeneinander, St. Pauli kündigte aber bereits in der vergangenen Woche an, aus Gründen der Menschlichkeit auf einen Protest zu verzichten - egal, wie das Derby ausgeht.

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