Süddeutsche Zeitung

Frauenfußball-Bundesliga:Warum Hoffenheim vor Bayern in der Tabelle steht

Lesezeit: 3 min

Von Anna Dreher

Ein Anzeichen, dass es ein guter Tag für die TSG Hoffenheim werden könnte, lieferte ausgerechnet Pernille Harder. Die, würden wohl die meisten Torhüterinnen der Bundesliga sagen, verschießt nie. Die statistische Belegbarkeit spielt dabei gar keine so große Rolle, auf die Psyche kommt es an, und da ist die dänische Weltklassestürmerin des VfL Wolfsburg eben abgespeichert unter der Kausalität: Harder, Tor! Am 15. September legte sie sich den Ball zurecht, Elfmeter in der 26. Minute, noch stand es 0:0, gleich aber also ziemlich sicher 1:0. Harder lief an und schoss - vorbei!

Hoffenheims Spielerinnen freuten sich so doll, als wäre die Partie gegen Meister Wolfsburg damit bereits erfolgreich beendet. Blöd für sie nur, dass Harder sich wieder fing: 1:0 kurz vor der Pause, dann 2:0 durch Ewa Pajor und 3:0 wieder durch Harder. Doch kein guter Tag. Der große Ligafavorit setzte sich mal wieder durch.

Kontinuierliche Arbeit und ein klares Konzept

Aber auch eine Niederlage kann ein Beleg von Erfolg sein. Für Hoffenheim ist es die einzige in der ersten Hälfte dieser Bundesliga-Saison geblieben. Die Mannschaft hat es geschafft, sich aus dem ewigen Mittelfeld der Tabelle erstmals in die Spitze zu schieben, zwischen den führenden Doublegewinner Wolfsburg und den FC Bayern, bisher konstant die zweitstärkste Kraft der Liga. Was wirkt wie eine Überraschung, ist das Ergebnis einer Entwicklung nach kontinuierlicher Arbeit und mit klarem Konzept - und ein Beispiel dafür, wie allein die Professionalisierung einzelner Bereiche im Frauenfußball zu einer deutlichen Leistungssteigerung und höherer Attraktivität der ganzen Liga führen kann.

"Die Vorbereitung lief sehr gut und nach dem 1:0 gegen die Bayern im Oktober haben wir gespürt, dass das eine gute Saison wird, vielleicht sogar eine besondere", sagt Ralf Zwanziger. Zu Beginn hatte der Manager von Hoffenheims Frauen mit dem Team 40 Punkte als Ziel ausgegeben. Schon das war ambitioniert, im Vorjahr hatten 33 Zähler am Ende Platz sechs bedeutet. Aber nach elf Siegen in 13 Spielen sind es nun bereits 34 Punkte, und Platz zwei hieße für die nächste Saison sogar: Champions League. "Ich kann nicht verhindern, dass unsere Gedanken darum kreisen", sagt Zwanziger, "aber wir haben unser Ziel noch nicht erreicht. Erst dann können wir neue setzen. Wir sollten uns nicht verrückt machen lassen. Die Saison ist noch lang."

Sie erscheint ihm vor allem deshalb noch lang, weil Hoffenheims Fußballerinnen in der Vergangenheit nach der Winterpause an eine gute erste Hälfte oft nicht anknüpften. "Vor zwei Jahren sind wir in der Rückrunde komplett eingebrochen", sagt Cheftrainer Jürgen Ehrmann, "aber jetzt passen viele Teile unseres Puzzles besser zusammen. Die Spielerinnen haben sich weiterentwickelt und ziehen ganz anders mit. Früher haben viele noch aufgeschaut zu den Stars aus Wolfsburg oder München - das macht eine harte Zweikampfführung dann natürlich noch schwieriger."

Abgesehen von dem 2009 eigens für die Frauensparte gegründeten Trainings- und Förderzentrum sei der entscheidende Schritt bei der TSG die gezielte Entwicklung eines passenden Spielstils gewesen: viel fußballerisch lösen, viel ballbesitzorientierten Offensivfußball zeigen, "und dieses Konzept immer durchziehen, egal mit wem, egal gegen wen", betont Ehrmann.

Die jüngsten Erfolge helfen dabei: Siege bringen Selbstbewusstsein und eine gewisse Leichtigkeit. Die Rekordnationalspielerin und dreimalige Weltfußballerin Birgit Prinz arbeitet seit 2013 als Sportpsychologin für Hoffenheim, auf den mentalen Aspekt wird schon lange Wert gelegt. Zudem ist seit der Vorsaison Trainer Gabor Gallai hauptamtlich angestellt, was ihm mehr Arbeitsumfang in Bereichen wie Videoanalyse oder Individualtraining ermöglicht. Chefcoach Ehrmann nämlich, der das Team 2008 in der Oberliga übernahm und dienstältester Bundesligatrainer ist, lehrt nebenher noch an einer Berufsschule.

Während Mannschaft und Trainer in Wolfsburg und München professionell arbeiten und verdienen, ist das bei der TSG nicht der Fall - auch wenn der Klub vermögend ist. Alle Spielerinnen gehen noch zur Schule, studieren oder üben einen weiteren Beruf aus. "Nicole Billa hat letztes Jahr noch ihre Ausbildung zur Erzieherin gemacht. Wenn die abends ins Training kam, war die natürlich total platt", erzählt Ehrmann. Inzwischen arbeitet sie halbtags - und ist mit 14 Toren zweitbeste Torschützin der Liga hinter Harder (18).

Eine ganzheitliche Förderung soll unabhängig von nationalen und internationalen sportlichen Fortschritten das Konzept bleiben. Darauf wird im Verein viel Wert gelegt. Von 22 Bundesliga-Fußballerinnen der TSG waren 15 bereits in der U20 und zehn dieser 15 schon als Juniorinnen im Klub. "Anders ginge das bei uns auch noch nicht, sonst müssten wir den Etat wohl verdreifachen", sagt Zwanziger. "Ich vermute zumindest, dass das im Vergleich zu Wolfsburg und Bayern die Dimensionen sind."

Weltstars wird es im Kraichgauer Frauenkader in nächster Zeit also nicht geben. Mit viel Geld oder einem Namen, der für Glamour oder Tradition steht, kann Hoffenheim nicht locken. Daher setzen sie darauf, dass Infrastruktur, Konzept und Entwicklung überzeugen. Dann könnte der Erfolg von Dauer sein. Davon würde auch die Liga profitieren: Mehr Spannung an der Spitze bringt mehr Zuschauer - und die sind bitter nötig, um gegen die internationale Konkurrenz zu bestehen. Die Winterpause endet am Freitag, für Hoffenheim geht es direkt mit dem Topspiel zu Hause gegen Wolfsburg los. Und wieder mit der Hoffnung auf einen guten Tag.

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Quelle:
SZ vom 14.02.2020
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