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Fall Hinteregger:Die Nada muss prüfen, auch wenn's um Gummibärchen geht

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Frankfurts Verteidiger wird zur Dopingprobe geladen, der Klub reagiert mit harscher Post an die Anti-Doping-Agentur Nada. Der Fußball denkt zuweilen, Regeln gelten nur für andere.

Kommentar von Thomas Kistner

Das Wichtigste zuerst, weil sie im Profifußball auf dieses Thema ja stets so nervös reagieren wie ein Patient, dem der Arzt von einem Schatten auf dem Röntgenbild berichtet: Nein, niemand unterstellt Martin Hinteregger einen Verstoß gegen Anti-Doping-Regeln. Das Dumme an der Sache, aus Sicht der aufgeregten Profibranche, ist nur leider, dass diese Regeln auch für Könige gelten: für König Fußball. Deshalb muss die Nationale Anti-Doping-Agentur ihrer klar definierten Verpflichtung nachkommen und die Sache prüfen, wenn ein Kicker während des Spiels mit einer Nadel behandelt wird und flott etwas konsumiert, das ihm kurz beim Einwurf zugesteckt wurde.

Damit zurück zu Hinteregger. Und zu einer Gemengelage, welche die Aufmerksamkeit der Nada erwecken muss. Was nichts damit zu tun hat, dass die Bonner Fahnder über die letzten drei Jahre wiederholt zu medizinischen Themen vorstellig werden mussten bei der Eintracht.

Zwei Tage nach der Hoffenheim-Partie hat es der Klub endlich geschafft, mediale Nachfragen zu befriedigen. Hinteregger habe einen Power-Shot erhalten, und die Nadel sei ihm zuvor zu Akupunktur-Zwecken gegen einen Wadenkrampf gesetzt worden. Dass solche Blitzmaßnahmen bisher eher selten im krampffördernden Ballbetrieb zu beobachten waren und manchem Fachmann neu sind, muss nichts bedeuten; Akupunktur ist so wenig verboten wie Energie-Gummis. Diese banale Erklärung schürt aber Verwunderung darüber, warum der Klub das nicht gleich souverän und zeitnah der öffentlichen Aufregung entgegengesetzt hat. Kurz beim Doc nachgehakt, schon wäre der Fall erledigt.

Transparenz und Fußball, das verhält sich wie Feuer und Wasser

Stattdessen ging bei der Nada harsche Post ein, die Bonner sprechen von Säbelrasseln. Und neugierigen Medien beschied der Klub, die Sache sei nicht vermeldenswert, das könne unangenehm, sogar peinlich enden. Was ist peinlich daran, wenn die auch aus Steuergeld finanzierte Nada wissen will, warum im Match mit Nadeln hantiert wird und ein Athlet etwas einwirft, das ihm so nebenbei in die Hand gedrückt wurde? Das muss die Nada tun, auch wenn's nur um Gummibärchen geht.

Ein Blick kurz auf den Fußball generell: Mehr Tempo, immer mehr Spiele in ständig neuen Formaten, um weitere Milliarden rauszupressen. Das ganze Geschäft beruht auf einer interessanten Prämisse: dass der Körper eine Maschine sei, aus der ständig noch mehr rauszuholen ist.

Transparenz und Fußball, das verhält sich wie Feuer und Wasser. Es beginnt beim undurchsichtigen Transfergeschäft, wo halbseidene Geschäftspartner über oder unterm Tisch absurde Milliardenbeträge bewegen, und reicht bis in den tiefsten Schweigebereich: Körper-Tuning. Weil die Kickerbranche keine nennenswerte, sprich: externe, unabhängige Kontrolle hat (die Testrituale nach Abpfiff werden von einer ursprünglich verbandsnahen Agentur durchgeführt und sind so alibihaft wie die sehr überschaubaren Zielkontrollen), bleibt die Leistungsexplosion der vergangenen 15 Jahre Debattierstoff.

Russlands Ammoniakschnüffler bei der WM 2018 lassen grüßen: Wer sieht, wie intensiv sich just der Spitzenfußball in Grauzonen bewegt, seine Leistungssprünge aber lieber mit guter Ernährung und toller Trainingsmethodik erklärt, darf die mythenumrankte Sportmedizin weiter als das betrachten, als was sie ja oft genug erscheint: als Grenzwissenschaft.

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Quelle:
SZ vom 21.08.2019
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