Süddeutsche Zeitung

Hertha gegen Bayern:Eine Schockwelle erfasst den FC Bayern

Lesezeit: 3 min

Von Javier Cáceres, Berlin

Der FC Bayern München hat die Post-Ancelotti-Ära mit einem enttäuschenden Unentschieden bei Hertha BSC eingeleitet. Vor den Augen der Klub-Oberen Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß kam der deutsche Rekordmeister nach 2:0-Führung lediglich zu einem 2:2. Damit sind die Bayern nun schon seit drei Spielen - für Bayern-Verhältnisse ein Weltalter - ohne Sieg. Dass sich Interimscoach Willy Sagnol, der erstmals auf der Bank saß, in eine moderne Version des soeben beim VfL Wolfsburg geschassten Andries Jonker verwandeln darf, ist arg zu bezweifeln. Nach der Entlassung von Louis van Gaal hatte Jonker im Frühjahr 2011 gleich fünf Spiele in Serie als Ersatztrainer in München aushelfen dürfen, die er alle gewann.

Ein Blick auf die Tabelle offenbart, dass der Handlungsdruck eher größer als kleiner geworden ist - fünf Punkte Rückstand haben die Münchner auf Borussia Dortmund. Wortkarg verließen die meisten Bayern-Profis das Berliner Olympiastadion, das Fazit oblag Sagnol: "Für uns ist das ein bisschen ärgerlich. Wir müssen mit mehr Konzentration und Disziplin spielen. Wir haben schwer bezahlt, denn ohne Konzentration sind wir nicht mehr die stärkste Mannschaft Deutschlands." Ohne Konzentration genügen selbst so schöne Tore wie jene von Mats Hummels (10.) und Robert Lewandowski (49.) nicht. Sagnol hatte in Berlin so ziemlich genau das getan, was von ihm erwartet worden war. Jene fünf Profis (Robben, Ribéry, Hummels, Boateng, Müller), die Carlo Ancelotti "gegen sich aufgebracht hatte", wie es Klubpräsident Uli Hoeneß formulierte, standen wieder in der Startelf. Beim 0:3 in der Champions League bei Paris Saint-Germain hatten sie - bis auf Müller - noch auf der Bank Platz nehmen müssen. Jérôme Boateng und Mats Hummels spielten in der Innenverteidigung, Franck Ribéry und Arjen Robben waren auf den Flügeln unterwegs.

Es war dann auch sinnigerweise eine Kooperation der Entrechteten von Paris, aus der der Führungstreffer entsprang. Eine zu kurz geratene Abwehr von Herthas Linksverteidiger Marvin Plattenhardt landete bei Robben, der den Ball auf Boateng zurücklegte. Aus dem Halbfeld flankte Boateng präzise auf den Kopf von Hummels, der den Ball aus etwa zwölf Metern scharf neben dem Pfosten platzierte. Der sehenswerte Treffer schien alle Vorzeichen der Partie zu bestätigen. Sie standen für Willy Sagnol insofern günstig, als Hertha gegen den FC Bayern nicht nur auf den gesperrten Kapitän und Mittelstürmer Vedad Ibisevic verzichten musste, sondern gegen den Rekordmeister auch eine ausgesprochen negative Bilanz aufzuweisen hat. Die Hertha hatte elf der letzten zwölf Duelle verloren. In der vorigen Saison hätte es fast zum Sieg gereicht, ehe der Schiedsrichter damals eine Ewigkeit nachspielen ließ und die Bayern noch zum 1:1-Ausgleich kamen.

Ribérys Verletzung schockt Bayern

Am Sonntag war der Schiedsrichter nur in der Startphase ein Thema. Nach Kontakt im Münchner Strafraum zwischen Bayerns Martínez und Herthas Darida entschied Harm Osmers auf Elfmeter, nahm die Entscheidung aber zurück, nachdem er sich am Spielfeldrand geschlagene 52 Sekunden lang Wiederholungen auf einem Monitor angesehen hatte. Sein Urteil blieb auch nach Ansicht aller Zeitlupen strittig. Danach zerfaserte die Begegnung - wobei die Bayern jedes Mal, wenn auf den Rängen Gähnattacken drohten, mit einer Großchance aufwarten konnten. Herthas Torwart Rune Jarstein hatte in der 44. Minute Glück, als Lewandowski sich um seinen Bewacher Niklas Stark wand wie eine Kobra ums Geäst und aufs Tor feuern konnte. Wie sich herausstellen sollte, hatte sich Lewandowski sein achtes Saisontor nur aufgespart. Denn vier Minuten nach Wiederanpfiff gewann der Pole einen robusten Luftkampf mit Stark und zog unhaltbar für Jarstein zum 2:0 ab.

Nach menschlichem Ermessen schien das Duell gelaufen zu sein. Doch Hertha kam zurück. In der 51. Minute setzte der Japaner Haraguchi zu einem Solo im Stile Maradonas an, umkurvte auf dem Weg in den Strafraum diverse Bayern-Profis, ehe er auf Ondrej Duda passte. Der Slowake musste nur noch einschieben, um das erste Bundesligator seiner Karriere zu erzielen. Wirklich erröten mussten die Bayern, als Salomon Kalou das 2:2 (56.) folgen ließ. Die Erfolgsformel der Berliner verriet nach dem Abpfiff Verteidiger Karim Rekik: "Als wir ein bisschen mehr gepresst haben, haben sie Probleme bekommen. Dann hat man gemerkt: Auch sie sind menschlich." Es war eine Schockwelle, die die Münchner da kurz nach der Pause erfasste. Denn Ribéry trat wenig später so unglücklich auf den Ball, dass er sich das linke Knie verdrehte - zwei Helfer geleiteten den Humpelnden vom Rasen. Nach erster Diagnose könnte es sich um einen Außenbandriss handeln. Den Bayern droht nach dem Fehlen von Nationaltorwart Manuel Neuer (Mittelfußbruch) der nächste längere Ausfall aus der prominenten Reihe.

In der Restspielzeit schien sich der FC Bayern wieder seines Status zu erinnern und dominierte - wirklich klare Ideen aber entwickelte die Mannschaft nicht, obwohl Thiago für Robben eingewechselt wurde, Sagnol also Schnelligkeit durch Talent und Eingebung ersetzte. Doch es zündete nicht. Der Schiedsrichter verfügte vier Minuten Nachspielzeit, und das ließ in Berlin durchaus Erinnerungen an Herthas Heimspiel aus der vorigen Saison aufkommen. Diesmal aber war die Dynamik im Bayern-Spiel nicht vital genug, um den Ausgang noch einmal zu kippen.

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SZ vom 02.10.2017
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