Süddeutsche Zeitung

Hertha BSC:Reich zu sein, ist auch nicht leicht

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Hertha BSC hat schon viele, viele Millionen seines Investors geopfert - und gleicht dabei einem neureichen Provinz-Millionär, der beim unbedarften Einkaufen überall ausgenommen wird.

Kommentar von Philipp Selldorf

375 Millionen Euro hat Lars Windhorst mit seiner Fondsgesellschaft im Laufe von knapp zwei Jahren in Hertha BSC investiert. Auf den ersten Blick sieht das nach einer Menge Geld aus, und auch beim zweiten Hinsehen darf man immer noch meinen, dass die Hertha mit so einer Summe endlich den seit Jahrzehnten ersehnten gesellschaftlichen Aufstieg schaffen sollte. Wenn Jahn Regensburg mit einem Spieler-Gehaltsvolumen von weniger als sechs Millionen Euro (jährlich, nicht monatlich) eine stabile Existenz in der zweiten Liga finanzieren kann und nun sogar eine Karriere als Tabellenführer entwickelt - was müsste dann erst mit einem Berg Spielgeld in der aufstrebenden Großstadt Berlin gelingen?

Das aktuelle Zahlenbild des Liga-Betriebs gibt auf diese Frage keine ermutigende Antwort, aber natürlich bedeuten zwei Niederlagen zum Saisonstart noch nicht das Scheitern des Investment-Projekts. In Kreisen etablierter deutscher Spitzenklubs dürften die fortgesetzten Berliner Probleme jedoch mit einer gewissen Befriedigung registriert worden sein: Ein verschärfter Verdrängungswettkampf und eine Expansion der Hertha ins Europacup-Drittel der Tabelle ist vorerst nicht zu erwarten.

Wie schwierig das Dasein im Profifußball ist, wenn auf einmal finanzielle Bedürftigkeit herrscht, führt gerade der SV Werder vor, der zuletzt seine Profi-Abteilung einem Rausverkauf unterzogen hat wie ein Unternehmen in Abwicklung. Die Hertha zeigt, wenn auch kaum zum Trost der traurigen Bremer, dass auch plötzlicher Reichtum schlechte Laune schaffen kann. Beim Versuch, das solide mittelmäßige Team in einen beachteten internationalen Wettbewerber zu verwandeln, hat Hertha schon viele, viele Windhorst-Millionen geopfert, aber ein Fortschritt ist nicht zu erkennen.

Unter neuer Führung wird stattdessen gerade gelöscht, was die alte Führung angerichtet hatte, als sie zwei Monate vor dem Beginn der Seuche und dem daraus folgenden Einbruch des Transfermarktes auf Einkaufstour ging. Nach der Übernahme von Tousart, Piatek, Cunha und Ascacibar waren schon mal 100 Millionen weg und Manager Michael Preetz verkörperte dabei ein klassisches Motiv: Den neureichen Provinz-Millionär, der beim unbedarften Einkaufen überall ausgenommen wird.

Auch durch das notfallbedingte Comeback von Pal Dardai ist die Hertha beim Aufbruch in die Zukunft erst mal wieder in der mittelmäßigen Vergangenheit gelandet. Dardai ist ein amüsanter und charmanter Mensch, sein Fußball ist weder das eine noch das andere. Mit seinen Sicherheitsgeboten prägt er ein sportliches Bild, das nicht zu den teuer bezahlten Ambitionen passt, und mit seinen Vorlieben betreibt er eine Personalpolitik, die ebenfalls einer freiwilligen Selbstbeschränkung gleicht. Im Mittelfeld regiert angeberisch der alternde Boateng, während der sicher nicht immer pflegeleichte, aber potenziell brillante Angreifer Cunha angeblich nicht mehr ins Gefüge passt. Es ist offenbar nicht leicht, eine reiche alte Dame zu sein.

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