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Karriereende von Wasserspringer Hausding:Ganz selten geht das kleine Fenster auf

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Fußball ist immer, Wasserspringen maximal einmal im Jahr: Das Beispiel des zurückgetretenen Weltmeisters Patrick Hausding zeigt, wie wichtig die Vielfalt für das deutsche Sportsystem ist.

Kommentar von Johannes Aumüller

Der erfolgreichste Moment in der Karriere des Wasserspringers Patrick Hausding ereignete sich vor ungewöhnlicher Kulisse. Auf Barcelonas Hausberg stieg die WM 2013, im Hintergrund die Kathedrale und die Dächer der Stadt, fotogener lässt sich so ein Wassersprung-Event kaum in Szene setzen. Und dort oben gelangen Hausding und seinem Partner Sascha Klein im Synchron-Wettbewerb vom Zehn-Meter-Brett so formidable Sprünge, dass sie sogar die ewig übermächtigen Konkurrenten aus China bezwangen.

Ein paar andere prägende Momente in der Karriere des Wasserspringers Patrick Hausding haben sich in weitaus weniger charmanter Umgebung vollzogen. Wie zum Beispiel ein Jahr vor dem historischen Triumph, in der Rostocker Neptunhalle: Hausding verlor bei einem Sprung die Orientierung, er knallte mit dem Bauch aufs Wasser, vom Auge bis zu den Kniegelenken waren danach viele Körperteile blau.

Am Mittwoch hat Hausding, 33, seine bemerkenswert erfolgreiche Karriere offiziell beendet: WM-Gold im Synchron, drei Olympia-Plaketten, darunter die erste deutsche Einzelmedaille seit 104 Jahren, 15 EM-Titel - allein ein Olympiasieg fehlte zur Krönung. Seit anderthalb Jahrzehnten hat er seinen Sport geprägt, wie das nur wenige taten. Aber seine Biographie ist nicht nur eine Aneinanderreihung von Auszeichnungen; sie steht auch exemplarisch fürs deutsche Spitzensportsystem und für die Wahrnehmung von Spitzensport in Deutschland.

Wasserspringen sei eine "Sportart am Existenzminimum", hat Hausding einmal gesagt

Wasserspringen gehört zu den vielen Disziplinen in den Nischen des Betriebs, in denen es eine besondere Motivation braucht, sich dem Sport mit Haut und Haaren und blauen Flecken zu verschreiben. Bis zu 15 000 Sprünge pro Jahr, bis zu 500 Achsendrehungen pro Training, das kann auf Dauer nicht gesund sein.

Ein ganzes Sportlerleben lang nimmt man im Schatten der Aufmerksamkeit Bauchplatscher, gerissene Bänder und andere Verletzungen in Kauf - und dabei auch manche Ibuprofen, die Hausding eine Zeitlang "wie Gummibärchen" konsumierte, zu viel. Nur ganz selten geht dieses kleine Aufmerksamkeitsfenster auf, bei den Olympischen Spielen oder bestenfalls noch bei einer WM; und dann braucht es noch Ausnahmekönner wie Hausding, die eine Sportart derart verkörpern, damit auch wirklich jemand hineinschaut durchs Fenster.

Fußball ist immer, Wasserspringen höchstens einmal im Jahr, danach geht's dann wieder zurück ins Grau der Neptunhalle. Reich wird man damit nicht. Wasserspringen sei eine "Sportart am Existenzminimum", hat Hausding zu Beginn seiner Karriere einmal gesagt. Er selbst war immerhin Sportsoldat, ein klassisches Sicherungsnetz für deutsche Athleten.

Sportarten wie Wasserspringen gibt es viele, und es hat das deutsche Sportsystem lange ausgezeichnet, diese Vielfalt in den Nischen auch zu bedienen. Seit ein paar Jahren läuft in Deutschland die große Debatte, welcher Sport eigentlich wünschenswert ist und wie sehr man das ganze teure Fördersystem auf die Maximierung der Medaillenausbeute trimmt. Doch es muss der Ansatz gelten, weiterhin breit zu unterstützen - auch wenn in einer Sportart wie Wasserspringen kurzfristig mal kein Athlet in Sicht ist, der 15 EM-Titel sowie drei Olympia-Medaillen gewinnt und an einem sporthistorischen Tag sogar die übermächtigen Chinesen besiegen kann.

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