Süddeutsche Zeitung

Harrison Barnes in der NBA:Während des Spiels verkauft

Lesezeit: 4 min

Von Jonas Beckenkamp

Wer es in der NBA als Basketballer versucht, muss manchmal einiges aushalten. Nicht nur unter den Körben, wo die Ellbogen fliegen, sondern auch ganz generell als Angestellter bei einem Verein. Harrison Barnes, 26, ist in der vergangenen Nacht etwas passiert, das anderswo die Arbeitsrechtler auf den Plan gerufen hätte: Er wurde bei den Dallas Mavericks Teil des vielleicht seltsamsten Transfergeschäfts der Liga-Geschichte - indem er während eines Spiels, an dem er aktiv mitwirkte, zur Tauschware avancierte. Barnes selbst dankte den Mavs und den Fans in Dallas, er hielt sich mit Kritik zurück.

Sowas hatte es selbst im großen Dollargeschäft der besten Basketballliga der Welt noch nicht gegeben: Ein Klub schickt einen verdienten Mitarbeiter quasi im Dienst in die Ferne. Barnes erlebte diese fragwürdige Entscheidung mitten in der Partie der Mavs gegen Charlotte (99:93) - er schwitzte noch, als er von seinem Wechsel erfuhr. Bereits während des Spiels hatte es Videoaufnahmen von ihm gegeben, wie er auf der Bank saß und seinen erzwungenen Abschied zur Kenntnis nahm. Sein überraschender Trade zu den Sacramento Kings führt in den USA nun zu einer Debatte über den Umgang mit Sportlern bei Vereinswechseln.

Die Reaktionen auf den Deal zum ungewöhnlichsten aller Zeitpunkte fielen eindeutig aus: Sowas gehört sich nicht, auch nicht in der NBA, wo Spieler des öfteren ohne ihre Einwilligung den Klub wechseln müssen. So zeigte sich Dirk Nowitzki, der in mehr als 20 Jahren in den USA schon einige Teamkameraden hat kommen und gehen sehen, schwer enttäuscht. "Ich saß auf der Bank, als ich es herausgefunden habe", berichtete der Deutsche. "Er tut mir natürlich leid, jeder weiß, wie eng wir uns standen. Wir werden ihn vermissen."

Die Stimmung in der Mavs-Kabine war trotz des sportlichen Erfolgs, der die vagen Playoff-Hoffnungen des Meisters von 2011 am Leben hielt, gedämpft. Solche Geschäftspraktiken verwundern, zumal sie zu kuriosen Momenten führten. Mitarbeiter räumten kurz nach Spielschluss die Sachen aus dem Spind von Barnes, als sich Nowitzki direkt daneben anzog. Dallas-Coach Rick Carlisle, dem der menschliche Aspekt des Basketballs stets viel bedeutet hat, hatte vom Management der Mavericks um Klub-Besitzer Mark Cuban ebenfalls nichts erfahren, wie er sagte. Es musste schnell gehen bei Barnes, schließlich schließt das Transferfenster in der NBA an diesem Donnerstag. Business schlägt Anstand.

Besonders merkwürdig war, dass der Flügelspieler in den ersten drei Vierteln des Duells mit Charlotte noch auf dem Feld stand. Dann verbreitete sich die Nachricht seines Wechsel rasant in der Heim-Halle von Dallas. "Deshalb hat er zum Ende nicht mehr gespielt", sagte Carlisle. Kurz nach Nowitzki und Maxi Kleber, dem zweiten deutschen Mavs-Profi, kam Barnes das letzte Mal für die Texaner vom Spielfeld und hatte auf dem Weg in die Kabine sein Trikot schon ausgezogen. Sprechen wollte er nicht, aber der Mann aus dem Städtchen Ames in Iowa wirkte arg geknickt. Obwohl er quasi entlassen wurde, hatte der 2,03-Meter-Mann seine alten Teamkollegen bis zum Schluss weiter angefeuert - er wollte offensichtlich nicht weg.

"Er ist ein besserer Profi als ich - jeder andere wäre abgehauen", gestand Nowitzki, der offenlegte, warum sich viele in Dallas so frustriert wegen Barnes' Weggang gaben: "Er ist so ein guter Typ." Zweieinhalb Jahre hatte er in Dallas gespielt, in der aktuellen Saison war er erneut einer der wichtigsten Akteure der Mavericks, seine knapp 18 Punkte pro Spiel fehlen dem Team nun. Sein Agent Jeff Schwartz sagte ESPN, dass der Spieler trotz kurzfristiger Gespräche über den möglichen Wechsel habe auflaufen wollen - während seines Abschiedsspiels kam dann der Vertragsabschluss.

"Das habe ich noch nie erlebt", sagte selbst Charlottes französischer Veteran Nicolas Batum erstaunt. Die Mavs erhalten im Tausch von den Kings Zach Randolph und Justin Jackson, zwei Spieler, die noch nicht (Jackson) oder nicht mehr (Randolph) das Format von Barnes besitzen. Es ging bei dem Geschäft ohnehin vor allem um: Geld. Im kommenden Sommer hat Dallas nun mehr Spielraum, um Zugänge zu holen, um den längst eingeleiteten Umbruch nach der Ära Nowitzki zu forcieren. Aber auf diese Art? "Das ist verrückt im Moment. Diese Woche ging es zu wie im Zoo", sagte Trainer Carlisle, der schon lange im Verein ist.

Er äußerte aber auch Verständnis. "Es ist ein dynamisches Geschäft und du nimmst die Dinge wie sie passieren." Zuletzt hatte Dallas in einem anderen Tauschgeschäft mit sieben involvierten Spielern den lettischen Alleskönner Kristaps Porzingis (2,21 Meter) von den New York Knicks geholt, dessen Verletzung ihn aber in der aktuellen Spielzeit vom Spielbetrieb abhält. Die Mavs sind ein Klub, der viele Veränderungen erlebt - sie betreffen gerade auch den früheren FC-Bayern-Profi Kleber, der immer mehr Einsatzzeit bekommt. Auch er zeigte sich von der Demission seines Kumpels Barnes tief getroffen. "Es ist sehr frustrierend für mich, weil Harrison einer meiner engsten Freunde hier war, einer der besten Profis, die ich je als Teamkollege hatte", sagte der 27-Jährige.

Langfristig könnte der Barnes-Wechsel für Dallas durchaus Sinn ergeben, schließlich baut der Verein um den spektakulären Slowenen Luka Doncic, 19, gerade ein kraftvolles Team für die Zukunft zusammen. Um ihm weitere junge, vielversprechende Profis an die Seite zu stellen, brauchen die Mavs Platz im Gehaltsgefüge - und Barnes war einer der Bestverdiener im Team. So wird vor allem Art und Weise, wie alles über die Bühne ging, zum Debattenthema.

LeBron James etwa wütete in sozialen Medien: "Lasst mich raten, es ist cool, weil sie das machen müssen, was für das Team richtig ist???" Und der Mann der Los Angeles Lakers gab gleich selbst die Antwort. "Sie haben den Mann getradet, buchstäblich während er gespielt hat und NULL Ahnung hatte." Zumindest finanziell trägt Barnes keinen Schaden: Kommende Saison kann er mehr als 25 Millionen US-Dollar verdienen.

( Mit Material der Deutschen Presse-Agentur)

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