Handspiel:Ärgerlichste und unfairste Regel des Fußballs
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Was ist eine natürliche Armhaltung? Wie soll ein Fußballer seine Körperfläche mit den Armen nicht vergrößern? Die Handspiel-Regel führt in der Praxis ins Absurde. Es ist Zeit, wenigstens die Sanktionen zu verändern.
Kommentar von Thomas Hummel
Im Nachklang der wundersamen Wendung des Relegationsspiels in Karlsruhe gilt festzuhalten: Der Hamburger SV hatte sich den Ausgleich verdient, einige riesengroße Chancen gehabt. Der Freistoß von Marcelo Díaz war: herrlich getreten. Und doch bleibt die Debatte übrig, wie es zu diesem Freistoß kam. Womit man bei der ärgerlichsten und unfairsten Regel des Fußballs ankommt: beim Handspiel.
Der Hamburger Slobodan Rajkovic erhielt den Ball vor dem Strafraum, der Karlsruher Jonas Meffert bewegte sich zwei Schritte in seine Richtung, drehte sich angesichts des drohenden Vollspannschusses weg. Rajkovic traf Mefferts am Körper angelegten Ellbogen. Die beiden standen allerhöchstens zwei Meter voneinander entfernt. Schiedsrichter Manuel Gräfe entschied auf absichtliches Handspiel und pfiff.
Ja, Gräfe entschied auf absichtliches Handspiel. Denn das ist Voraussetzung für den Pfiff: die Absicht. So steht es in Regel 12 des Fußballs. (Wobei man in diesen Tagen anfügen muss: Sepp Blatter ist daran unschuldig.) Absicht liegt demnach vor: Erstens, wenn die Hand des Spielers zum Ball geht. Mefferts Ellbogen ging nicht zum Ball.
Zweitens soll der Schiedsrichter die Entfernung von Gegner und Ball bei der Beurteilung berücksichtigen. Im Fall Rajkovic-Meffert: Der Karlsruher hatte keine Chance zu reagieren. Doch es gibt noch ein Drittens. Und das Drittens driftet in der Praxis angesichts des immer schneller werdenden Spiels ins Absurde ab.
Die Position der Hand muss beachtet werden. Auf Fußballregeldeutsch: Ist die Armhaltung bei der Ballberührung "unnatürlich", gibt es direkten Freistoß oder Elfmeter. Noch fußballregeldeutscher: Vergrößert der Spieler mit dem Arm seine Körperfläche, folgt die gleiche Sanktion.
Rückfrage: Was ist eine natürliche Armhaltung? Bei einem turbulenten Bewegungssport wie Fußball, in dem Spieler rennen, abstoppen, springen, sich drehen, über den Boden rutschen? Selbst beim Joggen im Park bewegen Leute ihre Arme völlig unterschiedlich. Manche einer sieht dabei so unnatürlich aus, dass man sich nach einem Laufschiedsrichter sehnt. Oder: Nimmt man die Arme beim Sprung mit nach oben wie ein Hochspringer? Oder muss man die Arme dabei "natürlich" angelegt am Körper halten?
Nächste Frage, an den Anatom: Wie soll ein Fußballer bei all diesen Bewegungen seine Körperfläche mit den Armen nicht vergrößern? Selbst ein angelegter Arm verbreitert die Fläche des Oberkörpers oft entscheidend. Wie man bei vielen Torhütern sieht, die längst nicht mehr mit fuchtelnden Gliedmaßen aus dem Tor stürzen, sondern sich einfach nur breit machen. Auch mit den Armen am Körper.
Inzwischen verschränken findige Verteidiger im Strafraum beim Laufen ihre Arme hinter dem Körper. Gladbachs Trainer Lucien Favre machte das einige Male in Interviews recht lustig vor, um die Absurdität vorzuführen. Die Realität ist: Selbst wenn die Spieler dann aussehen wie rennende Seesäcke - diese völlig unnatürliche Armhaltung ist ihre einzige Möglichkeit, sich vor dem schlimmsten zu schützen: Elfmeter, gelbe oder rote Karte, Freistoß am Strafraum in der Nachspielzeit der Relegation.
Die Schiedsrichter sind dabei nicht zu belangen. Die Entscheidung darüber, ob ein Spieler nach diesen Regeln das Handspiel absichtlich oder unabsichtlich begangen hat, ist in vielen Fällen schlicht nicht zu treffen. Nicht einmal der Video-Beweis würde hier helfen. Da muss man Manuel Gräfe in Karlsruhe weder Unfähigkeit noch bösen Willen unterstellen. Der eine entscheidet so, der andere so.
Weil alles so völlig schwammig ist, führt schon der Verdacht auf eine Handberührung inzwischen zu Tumulten in den Stadien. Spieler bedrängen den Schiedsrichter, fuchteln wild herum. Trainer ätzen, Zuschauer toben. Sie wissen: Der Spielraum des Schiedsrichters ist so groß, ein bisschen Druck kann da nicht schaden.
Das wirklich fatale an der Geschichte ist, dass das Handspiel ein zumeist spielentscheidender Faktor ist. Um ein Tor zu schießen, müssen Mannschaften oft einen riesigen Aufwand betreiben. Was hat der HSV in Karlsruhe nicht alles probiert? Dem Gegner an die Hand zu schießen und danach den Freistoß zu verwandeln, erscheint im Vergleich einfach. Manch bauernschlauer Dribbler lupft die Kugel im Strafraum leicht an, dann stehen die Chancen nicht schlecht.
Die Lösung? Äußerst schwierig. An den Debatten rund ums Handspiel ist schwerlich etwas zu verändern, wie man es auch dreht. So bleibt nur eine Chance: die Sanktionen mildern, vor allem bei strittigen Entscheidungen. Der indirekte Freistoß statt dem Elfmeter oder dem direkten Freistoß aus 17 Metern wäre eine Möglichkeit. Damit das Toreschießen wieder das ist, was es immer war: schwierig.