Süddeutsche Zeitung

WM in Deutschland:Handball braucht einen Hype

Lesezeit: 3 min

Von Saskia Aleythe, Berlin

"Die Kanzlei" wird am nächsten Dienstag ausfallen, auch auf die Serie "In aller Freundschaft" werden die Zuschauer verzichten müssen - es kommt Handball. 20.30 Uhr im ZDF, beste Sendezeit und auf der Fernbedienung weit vorne, viel mehr Öffentlichkeit kann sich eine Sportart nicht wünschen. Mit dem Handball ist es ja so: In keinem anderen Land halten so viele Menschen so viel von dem Sport wie in Deutschland. Die 16,7 Millionen Zuschauer, die bei der WM 2007 vor den Fernsehgeräten zusahen, wie sich erwachsene Männer Schnauzbärte ins Gesicht klebten, um den WM-Titel mit ihrem Schnauzbart-Trainer Heiner Brand zu feiern - das ist bis heute TV-Rekord für diesen Sport.

Die Deutschen und der Handball, das ist so eine Sache, und in diesem Jahr ganz besonders, die Fan-Gefühle sind bei einer Heim-WM immer noch ein bisschen stärker als ohnehin schon. Heim-WM so halb, Dänemark ist ja auch noch mit dabei, 93 Prozent der Tickets haben bereits Käufer gefunden, meldete der Deutsche Handballbund (DHB) vor dem ersten Spiel der Deutschen gegen ein vereintes Team aus Korea (ab 18.15 Uhr im SZ-Liveticker). Doch wie geht es dem Sport in diesem Land, wenn gerade mal keine WM ist?

Wer in Deutschland einen Mannschaftssport betreibt und mit Fußball nichts anfangen kann, der ist mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem Handball-Klub zu finden: Mit 757 000 Mitgliedern im DHB im Jahr 2018 ist Handball der beliebteste Mannschaftssport hinter Fußball (über sieben Millionen Mitglieder), davon können die Basketballer (208 400) oder Volleyballer (416 400) nur träumen. Weltweit gibt es kein Land, in dem mehr Menschen organisiert Handball spielen als in Deutschland, der Grund dafür liegt in der Tradition des Sports: Die Dänen und die Deutschen behaupten, Handball erfunden zu haben, irgendwann zwischen 1906 und 1917. Auf jeden Fall gehörten beide Nationen 1928 zu den Gründungsmitgliedern des ersten internationalen Handballverbandes. Der erste Weltmeister 1938: Deutschland.

Die Treue der Anhänger wird getestet

Dass der Sport im Süden, vor allem in Bayern, weniger verbreitet sei als im Rest der Republik, ist ein Schluss, der gerne gezogen wird beim Blick auf die Bundesliga-Tabelle - aber er stimmt nicht. Zwar ist mit dem HC Erlangen nur ein bayerischer Verein in der höchsten Spielklasse vertreten, doch der geneigte Freizeitsportler hat sich auch in Bayern dem Handball verschrieben: Der Bayerische Handball-Verband hat mit etwa 86 000 Mitgliedern fast doppelt so viele wie sein Pendant in Schleswig-Holstein.

Und weil sich die Leidenschaft beim Spielen auch auf das Interesse am Zuschauen auswirkt, sind die Hallen in Deutschland gut besucht: 1,5 Millionen Fans strömen jährlich in die Bundesliga-Arenen, im Durchschnitt sind das etwa 5000, beim THW Kiel über 10 200 pro Partie - nur im Eishockey zieht es öfter über 11 000 Menschen in die Hallen in Mannheim, Berlin oder Köln. Wie treu die Anhänger dem Handball im Fernsehen sind, wurde mit Saisonbeginn 2017 auf die Probe gestellt, als sich die Bundesliga vom Free-TV-Sender Sport1 zurückzog und zum Bezahlangebot bei Sky wurde, abgesehen von zwölf Partien, die in ARD oder ZDF laufen. Zahlen kommuniziert Sky eher selten, doch von den 220 000 Zuschauern, die einst bei Sport1 pro Partie einschalteten, soll knapp die Hälfte übriggeblieben sein.

Andererseits brachte der Vertrag den Vereinen auch neue Einnahmen. Und die finanziellen Verhältnisse sind in der Bundesliga längst nicht mehr die besten im internationalen Vergleich, was sich in den vergangenen Jahren auch sportlich ausdrückte. Zwar ist die Bundesliga spannender geworden, weil nicht mehr nur der THW Kiel Meisterschaften gewinnt, sondern auch Teams wie die Rhein-Neckar Löwen und die SG Flensburg-Handewitt. Aber die besten Handballer der Welt spielen mittlerweile bei Mäzen-Klubs wie Paris Saint-Germain, Veszprém in Ungarn oder Vardar Skopje in Mazedonien. In der abgelaufenen Champions-League-Saison war kein einziger deutscher Verein beim Final Four vertreten, bei dem die vier besten Teams der Champions League um den Titel spielen. Und mit Uwe Gensheimer und Dominik Klein auch nur zwei deutsche Spieler, weil sie ihr Geld in Paris und Nantes verdienten.

Auch um den Nachwuchs muss sich der Verband sorgen, denn so positiv die Mitgliederzahlen im Vergleich zu den meisten anderen Sportarten auch sind: Der WM-Titel 2007 hat zwar zwei Jahre lang für einen Anstieg um insgesamt 28 000 Menschen gesorgt, die plötzlich auch Handball spielen wollten, doch 2009 ging es rapide bergab. Der Handball-Hype verflog, die Namen der Weltmeister waren schon wieder vergessen, kein Star geboren. 90 000 Mitglieder hatte der DHB bis 2016 wieder verloren, gerade hat man sich halbwegs stabilisiert. "Wir wollen die Chance nutzen, wieder an junge Handballerinnen und Handballer heran zu kommen", sagte DHB-Präsident Andreas Michelmann am Mittwoch bei der Auftakt-Pressekonferenz in Berlin. Sie wissen schon, dass sich der Sport um den Nachwuchs bemühen muss, Tradition hin oder her. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Mannschaftssportarten hat der Handball ein weiteres Manko: In der elektronischen Welt ist er noch nicht angekommen, trotz einiger Versuche, E-Sports undenkbar.

Dass die Nationalmannschaft am Dienstag ein öffentliches Training in Berlin veranstaltete und danach noch eine Stunde lang Autogramme gab, war ein schöner Bilderlieferant, aber auch ein Zeichen für den Kampf um die Jugend. "Nichts hilft so sehr wie Erfolge im eigenen Land", sagte Michelmann noch. Sie brauchen Siege bei dieser WM. Auch für die Zukunft des Sports.

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