Süddeutsche Zeitung

Deutsche Handballer bei der WM:Fünf Sekunden fehlen

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Die deutschen Handballer liefern Ungarn einen großen Kampf und verlieren knapp 28:29 - ziehen aus der Niederlage aber frischen Mut für die Hauptrunde.

Von Carsten Scheele

Spanien, Polen und Brasilien, so heißen die deutschen Gegner in der Hauptrunde der Handball-WM. Das stand bereits vor dem Anpfiff am Dienstagabend fest, und bei all den anderen großen Nationen, die in diesem Turnier mitmischen, klingt dies nach einer machbaren Konstellation. Fraglich war bloß, wie komfortabel gepolstert das Team von Bundestrainer Alfred Gislason in der Hauptrunde landen würde. Mit vier Punkten? Oder nur mit zwei?

Die Punktezählweise bei großen Handball-Turnieren gehört zu den Eigenarten der Sportart. Vorrundensiege gegen Teams, die ebenfalls weiterkommen, werden in die Hauptrunde mitgenommen; Punkte gegen Mannschaften, die ausscheiden, werden gestrichen. Von daher war das knappe 28:29 (14:15) der deutschen Handballer im dritten Vorrundenspiel gegen Ungarn eine eher schlechte Nachricht.

Ein Sieg gegen Uruguay, eine knappe Niederlage gegen Ungarn - das macht zwei Punkte, nicht vier. Der Gruppensieg und die sehr gute Ausgangsposition für die Hauptrunde, in der es um den Viertelfinaleinzug gehen wird, war damit vertan. "Im Moment ist es ein Scheißgefühl", sagte Mittelmann Philipp Weber: "Wir hätten einen Punkt verdient gehabt, wenn nicht sogar mehr."

Für die deutsche Abwehr wird es der erwartete Stresstest

Die Ungarn waren der erste hochkarätige Gegner in der noch kurzen Amtszeit von Bundestrainer Gislason: Ein Team mit hochgewachsenen, abgezockten Typen, von denen viele bei den Topteams Veszprem oder Szeged unter Vertrag stehen. Gislason beorderte Andreas Wolff ins Tor, der gegen Uruguay noch pausiert hatte. Auf Linksaußen begann Marcel Schiller, der Kapitän Uwe Gensheimer auf die Bank verdrängte, und Schiller zeigte sogleich, weshalb Gislason ihn so schätzt: Der Göppinger ist ein sicherer Siebenmeterschütze; der erste Versuch saß prompt (2. Minute), vorbei an Roland Mikler, dem erfahrenen ungarischen Keeper mit 36 Jahren und 210 Länderspielen.

Für die deutlich unerfahrenere deutsche Abwehr wurde es der erwartete Stresstest. Der Mittelblock aus Johannes Golla und Sebastian Firnhaber hatte einige Probleme, die Ungarn von den besten Rückraum-Wurfpositionen fernzuhalten. Viel zu oft zogen diese ungehindert aus der Distanz ab, oder steckten durch auf Bence Bánhidi, den wirklich starken Kreisläufer, den die deutsche Abwehr nie in den Griff bekam. In Überzahl warfen die Ungarn erstmals eine Zwei-Tore-Führung heraus, 7:5 (14.). Nach zwei weiteren schnellen Gegentoren berief Gislason seine erste Auszeit ein.

"Wir kriegen nicht genug Zugriff in der Abwehr", kritisierte er und deutete an, weshalb es eine gute Idee gewesen sein könnte, den erfahrenen Isländer zum Bundestrainer zu machen. Gislason hatte die Schwächen der ersten Minuten genau analysiert, er stellte in der Abwehr um, von einer 6-0 auf eine 5-1-Formation, mit Fabian Böhm an der Spitze. Für den glücklosen Wolff, eigentlich die Nummer eins zwischen den Pfosten, rückte Jogi Bitter ins Tor. Der ist, mit 38 Jahren, das letzte Überbleibsel der deutschen Weltmeister von 2007.

Und plötzlich lief es besser: Hinten zeigte Bitter einige starke Paraden, vorne trafen die Deutschen entweder über die Außenpositionen oder über Julius Kühn, der sich im linken Rückraum hochwuchten und durchtanken konnte. Mit der Pausensirene traf Böhm zum 14:15, der Rückstand war fast aufgeholt.

"Das ist extrem bitter, wie das lief", sagt Weber

Den Schwung konnte das deutsche Team nach der Pause kurzzeitig mitnehmen, dann übernahmen die Ungarn mit ihrem famosen Regisseur Mate Lekai wieder das Geschehen. Rund um die 42 Minute wirkte das Spiel fast schon verloren, da vergaben die Deutschen drei Gelegenheiten am Stück, frei vor dem Tor, in Überzahl, erst Kastening, dann Böhm, dann wieder Kastening. So etwas wird von den Ungarn normalerweise bestraft, doch dieses Spiel war noch nicht vorbei.

Wieder wechselte Gislason sinnig, brachte erst Paul Drux, der sich im Rückraum einige Male durchsetzen konnte, und auch Kapitän Uwe Gensheimer. Der schaffte beim Stand von 22:22 erstmals wieder den Ausgleich, Drux kurz darauf sogar die Führung (24:23). Doch die Ungarn kamen zurück, über Lekai, immer wieder über Bánhidi. Am Ende war es Lekai, der fünf Sekunden vor Schluss den entscheidenden Wurf im Tor von Bitter unterbrachte.

"Das ist extrem bitter, wie das lief", klagte Weber, mit Blick auf die Hauptrunde konnte er trotzdem konstatieren: "Wir haben gezeigt, dass wir mit den Besten mithalten können." Am Donnerstag wartet schon Europameister Spanien.

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