Süddeutsche Zeitung

Deutschland bei der Handball-WM:Fast schon raus

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Die deutschen Handballer verlieren 28:32 gegen starke Spanier - und haben bei der WM kaum noch Chancen aufs Viertelfinale. Der Bundestrainer hadert.

Von Carsten Scheele, Kairo/München

Es war zum Ausflippen für Bundestrainer Alfred Gislason. Er stand wie ein Puppenspieler an der Seitenlinie, die Arme zuckten heraus, als könnte er mit seinen Fingern auf dem Feld etwas bewirken. Seine Spieler haben ihm am Donnerstagabend im WM-Gruppenspiel gegen den alten Widersacher Spanien nervlich einiges abverlangt, am Ende aber in einer umkämpften Partie 28:32 (13:16) verloren.

Die Niederlage lässt den deutschen Handballern kaum noch Möglichkeiten auf den erhofften Einzug ins Viertelfinale. Ungarn (sechs Punkte) und Spanien (fünf) sind in der Tabelle der Hauptrundengruppe enteilt, die Deutschen (zwei Punkte) müssen ihre beiden verbleibenden Spiele gegen Brasilien und Polen gewinnen und auf mehrere Patzer der Konkurrenten hoffen. Realistisch ist das kaum, zumal auch Polen in der Tabelle noch vor der DHB-Auswahl platziert ist.

"Wir haben mit zu viel Risiko gespielt und uns selbst kaputt gemacht", sagte Gislason im ZDF, "wir müssen jetzt sehr viel Glück haben." Sein erstes Turnier als Bundestrainer endet, wenn es auch unter so schwierigen Vorzeichen stand, ziemlich sicher mit einer Enttäuschung.

Spanien überrascht mit einer offensiven 3-2-1-Deckung

Die Spanier werden im Handball immer die Spanier sein. Knallharte Abwehr, gutes Rückraumspiel, wann immer es geht: ein unaufgeregter Pass an den Kreis. Das sieht häufig nicht gerade ästhetisch aus, bringt aber Erfolge. Die Spanier waren zuletzt 2013 Weltmeister, 2018 und 2020 Europameister. Sie verfügen über ein in der Spitze und in der Tiefe hochklassiges Team, das sich praktisch nur aus Spielern europäischer Topteams aus Barcelona, Paris, Veszprem, Kielce und Szeged zusammensetzt.

Extrem erfahrene Kräfte wie Raul Entrerrios (FC Barcelona) oder Viran Morros (Paris Saint-Germain) haben weit mehr als 200 Länderspiele absolviert und entsprechend alles gesehen, was die Sportart zu bieten hat. In den ersten Minuten hatte der Favorit trotzdem seine Probleme: Mal trudelten lange Pässe ins Aus, dann scheiterten die Werfer am zunächst gut aufgelegten deutschen Torhüter Andreas Wolff; nur ein Treffer gelang den Spaniern in den ersten fünf Minuten.

Das deutsche Team konnte das aber nicht nutzen und offenbarte ebenfalls seine Schwierigkeiten. Die Spanier überraschten mit einer offensiven 3-2-1-Deckung, mit Alex Dujshebaev an der Spitze, mit der Rückraumschütze Julius Kühn gar nicht zurechtkam. Für ihn kam früh Paul Drux. In der Abwehr waren die Probleme hausgemacht, hier handelte sich der Erlanger Sebastian Firnhaber - wie schon gegen Ungarn - sehr früh zwei Zeitstrafen ein. Schon ab der zehnten Minute war Firnhaber damit angezählt; die Spanier nutzten die Überzahl und zogen davon.

In der ersten Auszeit musste Gislason sein aufgeregtes Team erstmal ordnen. Er hat als Trainer unzählige Male gegen offensiv deckende Mannschaften gecoacht - und konnte nicht recht glauben, wie wenige Lösungen seine Mannschaft aufbringen konnte. "Die spielen offene Manndeckung", rief Gislason, da müsse man beweglicher agieren und die Räume nutzen.

Nach der Pause ist das DHB-Team plötzlich voll da

Doch es lief nicht. Die Spanier zwangen die deutschen Werfer zu überhasteten Abschlüssen - und gingen in der Offensive durch das so genannte "Kieler Loch", das die Weltklasse-Abwehrspieler Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler mit ihren Absagen in der deutschen Defensive hinterlassen hatten. Der junge Flensburger Johannes Golla schien als neuer Abwehrchef meist überfordert zu sein gegen die erfahrenen und abgezockten spanischen Rückraumschützen; sein Defensivpartner Firnhaber saß wegen seiner Zeitstrafen viele Minuten auf der Bank. Der frühere Hamburger Joan Canellas traf an Gollas nicht ganz passend platziertem Block vorbei zur ersten Vier-Tore-Führung der Spanier. Zur Halbzeit sah es überhaupt nicht nach einem deutschen Comeback aus.

Doch manchmal reicht eine Aktion. Direkt nach Wiederanpfiff fing Torwart Johannes Bitter (er spielte nun für Wolff) den ersten spanischen Wurf aus dem Rückraum - eine der Höchststrafen im Handball. Seine Mitspieler traten den Spaniern nun energisch entgegen; binnen fünf Minuten war der Drei-Tore-Rückstand egalisiert. Bitter hielt fast alles, der junge Juri Knorr traf mit seiner ersten Aktion, Kai Häfner erhöhte gar auf einen Drei-Tore-Vorsprung (24:21). War das Spiel tatsächlich gekippt?

Nicht ganz, denn die Spanier hatten ihre seltsam anmutende Schwächephase überwunden und kehrten mit aller Macht zurück. Neun Minuten lang traf das deutsche Team nicht ins Tor, der sonst so treffsichere Timo Kastening (sieben Tore gegen Spanien) vergab zwei Gelegenheiten, und als dann auch noch der bis dahin fehlerlose Strafwurfschütze Marcel Schiller seinen ersten Siebenmeter in diesem Turnier verwarf, sein Ball krachte ans Lattenkreuz, war klar, dass die Partie nicht noch einmal kippen würde. "Es war viel mehr drin", beklagte Kapitän Gensheimer.

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