Süddeutsche Zeitung

Handball-Nationalteam:Der Kapitän macht Schluss

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Einst galt Uwe Gensheimer als bester Linksaußen der Welt, doch in der Nationalmannschaft fehlte der große Erfolg. Nun verabschiedet er sich - und mit ihm gehen drei andere Spieler, deren Ausfälle sogar schwerer wiegen.

Von Carsten Scheele

Uwe Gensheimer war immer der Spieler mit dem Gummi-Handgelenk. Es war unglaublich, was der Linksaußen mit dem Ball anstellen konnte - er drehte ihn, zwirbelte ihn, ließ ihn aus unmöglichen Winkeln ins Tor zischen. So wurde Gensheimer in seinen besten Jahren, von denen er die meisten in seiner Mannheimer Heimat bei den Rhein-Neckar Löwen und einige bei Paris Saint-Germain in Frankreich verbracht hat, im Handball als bester Linksaußen der Welt bezeichnet.

Im Nationalteam hatte er weniger Fortune. Gensheimer war zwar seit 2014 der Kapitän und gewann 2016 in Rio die olympische Bronzemedaille, reiste zuletzt aber stets enttäuscht von großen Turnieren zurück. Bälle, die er im Verein zuverlässig im Netz unterbrachte, landeten im Nationalteam neben dem Tor, am Pfosten oder am Arm oder Bein irgendeines Torhüters. Bei den Olympischen Spielen in Tokio war er bloß Ersatzkraft.

Auch deshalb hat sich Gensheimer, 34, nun entschieden, die Nationalmannschaft nach 16 Jahren zu verlassen. Am Donnerstagmorgen gab der Deutsche Handballbund (DHB) den Rücktritt seines Kapitäns bekannt, und nicht nur dies: Auch Rückraumspieler Steffen Weinhold hört auf, Abwehrchef Hendrik Pekeler will eine "längere Pause" einlegen, Torwart Johannes Bitter nur noch in Notfällen aushelfen. Macht vier Spieler mit jeweils mehr als 100 Länderspielen, die bei der kommenden Europameisterschaft in Ungarn und der Slowakei nicht mehr zur Verfügung stehen werden. "Alle vier sind Gesichter unserer Sportart", sagte Bundestrainer Alfred Gislason, der neben den Nachwehen der Tokio-Enttäuschung, dem Aus im Viertelfinale gegen Ägypten, plötzlich einen ordentlichen Umbruch zu bewältigen hat.

Nüchtern betrachtet, ist der Abschied von Gensheimer das geringste Übel. In Tokio und zuvor bei der WM in Ägypten war der Mannheimer hinter Marcel Schiller nur noch zweite Wahl. Das brachte Probleme mit sich, denn weilte Gensheimer auf der Bank, sah sich Gislason gleich mit Fragen konfrontiert, weshalb der Kapitän nicht spiele. Schiller, 29, hat seine Nervenstärke in kritischen Situationen freilich bewiesen und noch gute Jahre vor sich. Rune Dahmke (THW Kiel), Patrick Zieker (TBV Stuttgart) oder der Magdeburger Matthias Musche können die Lücke füllen, die Gensheimer hinterlässt.

Pekeler legt eine Pause ein - er reagiert damit auf die Terminflut im Handball

Anders sieht es bei Weinhold, Pekeler und Bitter aus. Sie gehörten in Tokio - in einem enttäuschenden Nationalteam - mit Abstand zu den Besten. Pekeler hielt die Abwehr zusammen und ist international sehr geachtet. Weinhold wühlte sich auf Halbrechts sehr zuverlässig durch, wenn es dem Rückraum mal wieder an Durchschlagskraft fehlte. Torwart Bitter ließ in der Vorrunde gegen Norwegen in der Schlussphase nur zwei von neun Bällen passieren. "Was ich an Steffen und Peke habe, weiß ich seit unserer gemeinsamen Zeit beim THW Kiel", sagte Gislason, "und Jogi, den ich noch als jungen Mann beim SC Magdeburg kenne, ist ein extrem erfahrener Torwart." Auch er weiß: Die Qualität in der Nationalmannschaft wird nun erst einmal sinken.

Während sich Weinhold, 35, und Bitter, 38, im durchaus rücktrittsfähigen Alter befinden, ist die Lage bei Pekeler diffiziler. Der 30-Jährige hat zuletzt durchklingen lassen, dass er persönlich auf die Terminflut im Handball reagieren will, wenn ihm die Verbände keine Lösung in Aussicht stellen. Im Verein, beim THW Kiel, kann er nicht kürzertreten; also pausiert er im Nationalteam, das ergibt ein paar Spiele weniger im Jahr. Er habe sich "für meine Familie entschieden, die mich braucht", sagte Pekeler, Vater von drei kleinen Kindern. Ob und wann er aus seiner Pause zurückkehren wird, lässt er offen. Die EM 2022 wird ziemlich sicher ohne ihn stattfinden.

Uwe Gensheimer hat sich vor seinem Rücktritt noch einen Rekord geschnappt, seit Januar ist er der erfolgreichste deutsche Torschütze bei Weltmeisterschaften, vor Florian Kehrmann und Christian Schwarzer. Eine hübsche Bestmarke zum Schluss, doch Gensheimer weiß: Es wäre mehr möglich gewesen.

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