Süddeutsche Zeitung

Handball:Maximales für den Herzensverein

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Als Spieler hat Filip Jicha mit Kiel große Erfolge gefeiert - nun will er sie als Trainer des THW wiederholen. Er lässt sogar öfter trainieren als sein strenger Vorgänger Gislason.

Von Jörg Marwedel, Kiel

Zu seinem alten Chef Alfred Gislason, 59, hat Filip Jicha, 37, ein freundschaftliches Verhältnis. Der Mann, der elf Jahre lang Trainer des Handball-Rekordmeisters THW Kiel war, zweimal die Champions League und je sechsmal den deutschen Titel und den DHB-Pokal gewann, hat ihn 2018 als Assistent zum THW zurückgeholt. Schon damals deutete sich an: Jicha, der fast alle Kieler Erfolge als Spieler mit Gislason erlebt hatte, sollte ein Jahr später sein Nachfolger als Chefcoach bei seinem "Herzensverein" werden. So nennt Jicha den THW, für den er sogar in acht Jahren seine Gesundheit geopfert habe und den er 2015 nur verließ, weil er in der Endphase seiner Karriere beim FC Barcelona für deutlich weniger Stress viel mehr Geld verdiente.

Nun aber, so drückt es der neue THW-Geschäftsführer Viktor Szilagyi aus, beginne eine "neue Ära". Die Ära nach Zvonimir Serdarusic (15 Jahre in Kiel) und eben Gislason. Und sie beginnt durchaus imposant. Zwei Testspiele gewann der Jicha-THW gegen zwei der besten Vereinsteams: 33:29 gegen den Champions-League-Rekordsieger Barcelona, bei dem Jicha seine letzten Jahre als Profi verbrachte; und 34:30 gegen Paris St. Germain mit dem einstigen THW-Helden Nikola Karabatic. Nun steht an diesem Mittwoch in Düsseldorf die Supercup-Partie des Pokalsiegers THW gegen den Meister SG Flensburg-Handewitt an. Es ist das 100. Derby dieser Klubs.

Und vielleicht wird da schon sichtbar, warum der THW, der seinen letzten Meistertitel 2015 noch mit dem Rückraumspieler Jicha gewann, für die meisten Mitbewerber der Favorit für die am Wochenende startende Bundesligasaison ist. Natürlich, sagt Jicha, könne er die Skeptiker verstehen, die anmerken, ein einstiger Welthandballer (2010) werde nicht automatisch ein guter Trainer. Gislason habe "sehr große Fußstapfen hinterlassen". Zudem habe er schon gemerkt, wie anstrengend dieser Job sei mit den vielen Meetings, Videoanalysen und Trainingsplanungen. Am freien Nachmittag im Trainingslager habe er "zwei Stunden geschlafen - das war nötig", gestand er den Kieler Nachrichten. Doch bei aller Vertrautheit zu seinem Vorgänger: Jicha will den THW mit einem eigenen Stil ziemlich umkrempeln. Das zuletzt eher statische Spiel des THW, in dem mehr auf die Fähigkeiten einzelner Spieler gesetzt wurde, will er "mit viel Tempo" beleben.

Jicha möchte generell der Kreativität mehr Raum geben, also deutlich attraktiveren Handball spielen lassen. Die Mannschaft, die für ihn "eine Art Familie" ist, will er mit "vielen knackigen kleinen Meetings" vor dem Training erreichen. Sein Plus könnte im Vergleich zu Gislason auch die deutlich bessere Kommunikation sein. Zudem halte er viel von der Arbeit in kleinen Gruppen. Auch deshalb hat er sich für die Verpflichtung des früheren THW-Rechtsaußen Christian Sprenger als Assistenztrainer eingesetzt. Dass er, wie sein Vorgänger, auf Disziplin setzt, versteht sich von selbst. Sein Lieblingswort heißt "maximal". Das heißt, er will dem THW wieder jene Siegermentalität einhauchen, die den Klub zu seiner Zeit als Profi ausgezeichnet hat. Dies bedeute auch, dass er nur mit Spielern die Verträge verlängern will, die "das Maximale wollen, um das Maximale spielen zu können". Er liebe es nicht, wenn THW-Zugänge sagen, sie seien gekommen, um Titel zu sammeln. Das Erste sei ja Fleiß und Disziplin, um diese Titel überhaupt zu gewinnen.

Kein Wunder, dass Spielmacher Domagoj Duvnjak von "einer der schwersten Saisonvorbereitungen meiner Karriere" spricht. Um sieben Uhr aufzustehen, sei für ihn sehr schwer. Selbst der strenge Gislason habe nicht dreimal am Tag trainieren lassen, ergänzt Nationalspieler Patrick Wiencek. Gleichwohl bezeichnet er die Arbeit des neuen Chefs als "überragend", das Training sei extrem abwechslungsreich.

Das liegt auch daran, dass Jicha, so sagt er es, eine Mixtur der Ideen der großen Trainer seiner Karriere zusammengestellt hat. Also von Serdarusic, Gislason und Xavi Pascual in Barcelona, der einen weit spielerischeren Ansatz im Vergleich zum robusten deutschen Handball pflegt. Und noch etwas könnte für einen Erfolg des Trainer-novizen sprechen - sein extrem gutes Verhältnis zu Geschäftsführer Viktor Szilagyi, mit dem er 2007/08 beim THW zusammenspielte. Der habe vieles in die richtige Richtung gelenkt, glaubt Jicha.

Dass Szilagyi der Meinung ist, die Mannschaft sei stark genug, um sich am Saisonende endlich wieder für das Final Four der Champions League in Köln qualifizieren zu können, bringe keinen zusätzlichen Druck, behauptet Jicha. Und zu viel Ärger mit Zugängen, die vom Titelsammeln sprechen, ohne auf die damit verbundene Schufterei beim THW hinzuweisen, hat er auch nicht zu befürchten. In diesem Sommer kamen nur der Torwart Dario Quenstedt (aus Magdeburg) und der tschechische Rückraumspieler Pavel Horak (aus Brest/Weißrussland) hinzu. Das Team des Vorjahreszweiten ist also bereis eingespielt. Jetzt muss es nur noch die beschleunigenden Pläne des Filip Jicha umsetzen.

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Quelle:
SZ vom 21.08.2019
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