Süddeutsche Zeitung

Handballtrainer André Fuhr:Eine sehr sensible Personalie

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Als Bundesligatrainer soll André Fuhr Spielerinnen gegenüber jahrelang übergriffig geworden sein. Bis zur Klärung der Vorwürfe wird mindestens noch ein Jahr vergehen. Fuhr trainiert nun ein Männerteam. Betroffene fragen: Darf er das?

Von Ulrich Hartmann

Es ist elf Monate her, dass der Handballtrainer André Fuhr, 52, bei den Bundesliga-Frauen von Borussia Dortmund freigestellt wurde wegen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe der psychischen Gewalt. Öffentlich gemacht haben das die beiden Nationalspielerinnen Amelie Berger und Mia Zschocke. In der Folge meldeten sich weitere Frauen mit ähnlichen Anschuldigungen. Auch seinen Job als Nationaltrainer der U20-Frauen beim Deutschen Handballbund musste Fuhr daraufhin aufgeben.

Der Deutsche Handballbund (DHB) stieß zeitnah eine unabhängige Aufarbeitungskommission an, die sich wegen interner Meinungsverschiedenheiten allerdings gleich wieder auflöste. Im März dieses Jahres begann dann eine neue, sechsköpfige Kommission mit der Anhörung einer angeblich mittleren zweistelligen Zahl von Betroffenen und Zeuginnen sowie dem Ziel, nach 18 Monaten, also voraussichtlich im Herbst 2024, einen Abschlussbericht zu veröffentlichen. Mittlerweile hat Fuhr einen neuen Trainerjob angenommen. Er trainiert jetzt die fünftklassigen Verbandsliga-Handballer der MTG Horst in Essen. Zu den Anschuldigungen hat er sich bislang nicht geäußert.

Seit vergangenem Herbst haben sich etliche Handballerinnen und Zeugen auch von vorangegangenen Stationen Fuhrs gemeldet und dem Trainer ein systematisch anmutendes übergriffiges Verhalten vorgeworfen. So soll er Spielerinnen angeschrien, beleidigt und gedemütigt, etwa im Training mit Begrenzungshütchen beworfen haben; vereinzelt soll er jenseits des Handballs in ihre Privatsphäre eingedrungen sein. Seither gilt der Ostwestfale - trotz obligatorischer Unschuldsvermutung - in der Branche als rotes Tuch. Die damalige Dortmunder Kapitänin Alina Grijseels, mittlerweile im französischen Metz aktiv, sagte kürzlich im Berliner Tagesspiegel: "Ich kenne bis heute keine Details von dem, was da vorgefallen ist; die beiden Seiten unterscheiden sich stark in der Wahrnehmung. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen."

Die Verantwortlichen der Handballabteilung in der Märkischen Turn-Gemeinde (MTG) Horst sahen in der Verpflichtung eines sehr erfahrenen Trainers mit Profihandball-Vergangenheit mehr eine Gelegenheit als die Gefahr, sich Ärger in den Verein zu holen. Die Abteilungsleiter Michael Hebenstreit und Maren Fröhlich teilen in einer gemeinsamen Mail mit, man habe im Sommer einen neuen Trainer gesucht, sei von sich aus auf Fuhr zugegangen und habe ihn im Gespräch "als besonnenen Menschen" erlebt, "der uns offen entgegengetreten ist und in seinem Gebiet Handball ein echter Fachmann und Profi ist".

Die Aufarbeitung brauche Zeit, teilt der DHB mit, der Verband sei sich "seiner Verantwortung gegenüber den Betroffenen bewusst"

Die Vorgänge rund um Fuhr haben Hebenstreit und Fröhlich damals in den Medien verfolgt. Eine Debatte innerhalb ihrer Abteilung, ob man Fuhr angesichts dieser Vorgeschichte verpflichten könne, sei nicht aufgekommen. Man habe die bekannten Vorwürfe mit Fuhr durchaus thematisiert: "Es gab viele Fragen, ehrliche Gespräche und schnell eine gemeinsame Basis." Saisonziel der Essener unter Fuhr ist ein Platz unter den ersten Fünf, was einem Aufstieg gleichkäme, weil die Verbandsligen zusammengelegt werden.

Beim DHB verkneifen sie sich jede emotionale Reaktionen auf Fuhrs neues Trainerengagement. Dafür ist die Angelegenheit zu sensibel. Die Aufarbeitung durch die unabhängige Kommission, so antwortet der Verband per Mail auf eine schriftliche SZ-Anfrage, "braucht Zeit und wird mit höchster Sorgfalt durchgeführt, da sich der Deutsche Handballbund der Bedeutung der Aufgabe und vor allem seiner Verantwortung gegenüber den Betroffenen bewusst ist". Ohne gesicherte Erkenntnisse, was in Fuhrs früheren Klubs genau vorgefallen ist, kann gegen den Trainer nicht vorgegangen werden.

"Die Arbeit der unabhängigen Kommission", erklärt der DHB, "ist vorerst auf 18 Monate festgelegt und endet mit einem zu veröffentlichenden Abschlussbericht." Erst dann könnte Fuhr theoretisch sogar gesperrt werden. Der Verband schreibt: "Grundsätzlich können unter zivilrechtlicher Betrachtung auch verbandsrechtliche Strafen verhängt werden bis hin zu Sperren und Lizenzentzügen."

Im Deutschlandfunk sagte Nadine Dobler von der Anlaufstelle gegen Gewalt des Vereins Athleten Deutschland: "Ich hätte mir gewünscht, dass ein neuer Verein zumindest das Ergebnis der Kommission abwartet." Die betroffene ehemalige Handballerin Jolanda Bombis-Robben sagte im selben Beitrag: "Das ist natürlich bitter für Spielerinnen, die sehr viel auf sich genommen haben und jetzt merken: Okay, der Mann hat schon einen neuen Job - hat das dann überhaupt alles Sinn gemacht?"

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