Süddeutsche Zeitung

Handball-EM:Frei spielen nach den Turbulenzen

Lesezeit: 3 min

Die deutschen Handballerinnen reisen zur EM nach Montenegro - doch vorher müssen manche Spielerinnen noch die Folgen psychischer Gewalt durch einen Trainer so gut es geht verarbeiten.

Von Ulrich Hartmann

Am Samstag beginnt für die deutschen Handballfrauen die Europameisterschaft in Montenegro, und noch weiß niemand so genau, was ihnen dort am meisten zu schaffen macht: die drei Vorrundengegner Polen, Montenegro und Spanien oder die jüngsten Branchen-Turbulenzen. Zuletzt wurde bekannt, dass immer wieder Handballerinnen im Laufe der Jahre in Blomberg, Metzingen und Dortmund unter psychischen Repressalien des Klubtrainers André Fuhr zu leiden hatten. Der Spiegel berichtete über "Psychoterror im Frauenhandball", und dies ist natürlich auch Thema in der EM-Vorbereitung.

Die deutsche Spielführerin Emily Bölk, die bei Ferencvaros Budapest spielt, ist zugleich Athletenvertreterin im Deutschen Handball-Bund (DHB) und damit doppelt besorgt um alle Mitspielerinnen und besonders jene, die unter dem offenkundigen Psychoterror zu leiden hatten. "Mir ist es ein großes Anliegen, dass sich alle Spielerinnen bei uns wohl fühlen und auch frei sind, um die optimale Performance aufs Feld zu bringen", sagt sie.

Die 24-Jährige tauscht sich dabei zum einen mit dem Verein Athleten Deutschland aus, an dessen Anlaufstelle gegen Gewalt sich die Nationalspielerinnen Amelie Berger und Mia Zschocke in der Sache gewendet hatten, zum anderen auch mit DHB-Präsident Andreas Michelmann. "Ich bin auch enge Ansprechpartnerin für Amelie und Mia", sagt Bölk, "ich unterstütze sie und biete ihnen meine Hilfe an." Während Zschocke zum EM-Kader gehört, kuriert Berger noch einen Kreuzbandriss aus und bleibt daheim.

Raum für Gespräche - die Voraussetzung, um die Erlebnisse verarbeiten zu können

Bölk berichtet halbwegs entspannt aus der EM-Vorbereitung: "Während des Trainings ist es kein großes Thema, wir schaffen es ganz gut, den Fokus auf die EM zu richten, und ich habe auch nicht das Gefühl, dass jemand gehemmt spielt." Sie glaube, dass alle offen mit der Problematik umgingen, "und das ist auch wichtig für die Betroffenen, um es verarbeiten zu können". Bölk teilt sich das Kapitänsamt in der Nationalmannschaft mit Alina Grijseels, die bei Borussia Dortmund spielt, also jenem Bundesligisten, bei dem bis vor Kurzem der Trainer Fuhr gearbeitet hatte, wegen dessen Verhalten Berger und Zschocke gekündigt haben. Zschocke spielt jetzt beim norwegischen Klub Storhamar, Berger beim Bundesligisten Bensheim/Auerbach. Fuhr wurde entlassen.

Aus dem deutschen EM-Kader haben außer Zschocke und den Dortmunderinnen Grijseels und Lisa Antl im Laufe ihrer Karriere auch Johanna Stockschläder, Isabell Roch, Xenia Smits und Maren Weigel unter Fuhr gespielt. Bundestrainer Markus Gaugisch sagt allerdings, nach seinem Wissen sei außer Zschocke keine andere Spielerin von den Vorgängen direkt betroffen.

Die Dortmunderin Grijseels berichtet aus dem BVB-Alltag: "Ich persönlich war nicht betroffen, ich habe das nicht erlebt, was Amelie und Mia beschrieben haben. Es ist aber auch für mich ein erschütterndes Thema." Als Co-Kapitänin fühlt sich Grijseels in der EM-Vorbereitung mit zuständig für das Wohlergehen aller Spielerinnen. "Wir bekommen Raum für Gespräche" sagt sie, "aber ich habe nicht das Gefühl, dass das Thema unsere Vorbereitung auf die EM beeinträchtigt."

Auch der DHB reagiert: Er richtet eine unabhängige Kommission ein

Der DHB will zur Aufarbeitung dieser Übergriffe und zur Prävention vergleichbarer Taten eine externe und unabhängige Kommission einrichten. Für diese haben bereits erfahrene Experten zugesagt - unter anderem Carmen Borggrefe, Leiterin der Abteilung Sportsoziologie und Sportmanagement an der Universität Stuttgart, sowie Christian Pfeiffer, ehemaliger Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Die Kommission soll ihre Arbeit nach der EM aufnehmen.

Grijseels lobt diese Schritte: "Es ist für uns Spielerinnen wichtig zu sehen, dass der Verband das Thema ernst nimmt; eine unabhängige Kommission einzurichten, ist in meinen Augen der richtige Weg." Ähnlich äußert sich Bölk: "Ich bin in einem sehr guten Austausch mit dem Präsidenten Andreas Michelmann, und es gibt uns ein gutes Gefühl, dass daran gearbeitet wird." Bölk hält die Thematik für "total schwierig, aber umso mehr erfordert es auch die momentane Aufmerksamkeit. Es ist wichtig, dass alle Betroffenen gehört und daraus Schlüsse für die Zukunft gezogen werden".

Die Mannschaft fliegt am Donnerstag nach Podgorica und versucht dort, sich in den Gruppenspielen am Samstag gegen Polen, am Montag gegen Montenegro und am Mittwoch gegen Spanien eine gute Ausgangsposition für die Zwischenrunde zu sichern. Vor dem Abflug hat auch Bundestrainer Gaugisch die Art gelobt, wie die Spielerinnen mit dem Thema umgehen. Er erlebe diese als sehr konstruktiv, sagt er, "wir versuchen all die Eindrücke, die in den vergangenen beiden Wochen auf sie eingeprasselt sind, mit aufzufangen." Von regelmäßigen und teils systematisch anmutenden Übergriffen auf Spielerinnen, die es seit vielen Jahren schon gegeben haben soll und die auch Thema in der Branche gewesen sein sollen, will Gaugisch nichts mitbekommen haben. "Ich bin seit zwei Jahren Bundesligatrainer", sagt er, "von systematischen Vorgängen war mir nichts bekannt."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5685262
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.