Süddeutsche Zeitung

Deutschland bei der Handball-EM:Verloren nach großem Kampf

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Von Saskia Aleythe, Wien

Es ist selten eine gute Idee, Andreas Wolff die Arbeit allzu einfach zu machen. Den Torwart der DHB-Auswahl umweht nicht umsonst die Aura eines grummeligen Türstehers und als die Hymne in der Wiener Stadthalle lief, da fiel es dem 28-Jährigen schon schwer, stillzustehen. Wolff tigerte vorm Anpfiff umher wie ein Löwe im Käfig, in der ersten Halbzeit passierte keiner der drei Siebenmeter für die Kroaten sein Tor. Den Würfen von Zlatko Horvat und Igor Karacic war die Nervosität anzumerken. Und nicht nur Wolffs Brustkorb wölbte sich, er schien tatsächlich immer größer zu werden.

Den größten Wolff dieser EM, man hatte ihn gebraucht in dieser Partie gegen Kroatien - doch trotz seiner Abwehrquote von 34 Prozent scheiterte die deutsche Auswahl in einem bis in die Schlusssekunden dramatischen Spiel mit 24:25 (14:11). Eine Zeitstrafe in der 58. Minute gegen Hendrik Pekeler beim Stand von 24:24 brachte die Vorentscheidung. Für den DHB ist das Turnierziel Halbfinale damit quasi ausgeträumt; die Chancen, die Runde der letzten Vier zu erreichen, sind nur noch minimal vorhanden.

"Das ist total bitter, die zweite Halbzeit gibt den Ausschlag", erklärte der konsternierte Bundestrainer Christian Prokop im ZDF: "Da haben wir die Bälle nicht mehr so untergebracht, wie wir es wollten." Auch Kapitän Uwe Gensheimer sagte: "Wir haben es nicht verdient zu verlieren nach so einer Leistung. In den letzten zehn Minuten haben wir leider zu viele leichte Fehler gemacht."

Ballverluste bringen die Kroaten wieder heran

Im Handball geht es darum, Antworten zu finden auf heikle Situationen und dass sie krisenresistent sind, bewiesen die deutschen Handballer noch in der ersten Halbzeit mehrfach. Der Start in die Partie verlief für die Deutschen erfreulich, was man am besten daran erkannte, dass Christian Prokop bei der ersten Auszeit nach 18 Minuten fast schon überschwänglich lobte. "Ihr macht das super!", warf der 41-Jährige seiner Mannschaft entgegen, 8:5 aus Sicht des DHB-Teams stand es da und man hatte sich den zwischenzeitlichen Drei-Tore-Vorsprung tatsächlich erkämpft. Bis dahin musste man schon zwei Unterzahl-Situationen überstehen, eine beherzte Abwehrleistung und schnelle Tore etwa durch Kapitän Uwe Gensheimer brachten dennoch die Führung. Auf ein 13:8 war man zwischenzeitlich davongeeilt, auch weil Kroatiens Angriff überraschend unsicher agierte.

Geplagt durch sechs Zwei-Minuten-Strafen in der ersten Halbzeit ließ die deutsche Mannschaft trotzdem keinen Bruch ins Spiel kommen: Einmal traf Philipp Weber trotz doppelter Unterzahl zum 10:8, dann sicherte Wolff den Deutschen mit weiteren Paraden die Führung. Dass es mit 14:11 in die Pause ging, warf allerdings auch die Frage auf: Würde es diesmal wieder so ablaufen wie in den vergangenen Partien, als man in der zweiten Halbzeit mit Konzentrationsschwächen zu kämpfen hatte? Immerhin hatten die Kroaten bisher eine Turnierleistung gezeigt, die sie zum ernsthaften Titelanwärter machte.

Erstes positives Zeichen nach dem Seitenwechsel war die Erkenntnis, dass Julius Kühn diesmal nicht in der Kabine eingeschlossen wurde und seinen Dienst pünktlich antreten konnte. Zwei schnelle Angriffe von Timo Kastening, Matchwinner im Spiel gegen Weißrussland, und Gensheimer erhöhten die Führung, dann deutete sich noch mal so eine heikle Phase an: Patrick Wiencek, der zusammen mit Pekeler die Kroaten abprallen ließ, sah seine zweite Zeitstrafe und würde bei einem dritten Vergehen zugucken müssen. Ballverluste und fahrlässig vergebene Torchancen brachten Kroatien wieder ein Stück heran. Ein Hüftwurf von Häfner donnerte unglücklich an den Pfosten (46.), wenig später stand es nur noch 21:20 - Deutschland drohte das Spiel und damit das anvisierte Ziel Halbfinale aus den Händen zu gleiten.

Nach 48 Minuten hatten die Kroaten zum ersten Mal seit dem 5:5 (15.) wieder den Ausgleich geschafft und plötzlich unterliefen den deutschen Handballern zahlreiche Ballverluste. Im Tor hielt Wolff jetzt auch, was kaum abzuwehren war. Tobias Reichmann erfüllte seinen Job als zuverlässiger Siebenmeter-Schütze, die Abwehr bäumte sich noch einmal auf zu einer Einheit. Doch Kroatien ließ sich nicht mehr abschütteln. Vorne bekam Jannik Kohlbacher frei am Kreis nochmal die Chance zum Ausgleich, doch er traf nur den Torwart. Die Partie war verloren. Und Wolff tobte.

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SZ vom 19.01.2020
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