Süddeutsche Zeitung

Handball:Die Kraft der flinken Prinzen

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In der Enge Japans treibt Alfred Gislason die Weite des deutschen Spiels voran. In der nächsten Partie gegen Rekord-Weltmeister Frankreich braucht sein Team auch einfache Tore - unter anderem von Marcel Schiller.

Von Saskia Aleythe, Tokio

Alfred Gislason hatte den passenden Vergleich spontan vor Augen. Absperrgitter trennen Sportler und Trainer bei den Olympischen Spielen in Tokio von den Journalisten auf der anderen Seite, zwei Meter mindestens zum Reduzieren der Ansteckungsgefahr. Der Handball-Nationaltrainer war guter Laune am Montagmittag nach dem ersten Sieg seiner deutschen Mannschaft, und als er sein Leben im olympischen Dorf beschreiben sollte, zeigte er auf diese Absperrzone. "Ich habe ein Zimmer, das so breit ist wie das hier, ohne Fenster", sagte Gislason, es folgte Gelächter. "Aber ich mache sowieso den ganzen Tag Videoarbeit. Ich könnte auch eingeschlossen sein irgendwo, das würde keinen Unterschied machen." Sich abschotten und Spiele vorbereiten, das betreibt er ja schon sein ganzes Trainerleben lang so.

Bereits zwei Mal hat Gislason Olympische Spiele erlebt, zwei Mal als Spieler für Island: 1984 und 1988, eine Medaille kam nicht dabei heraus. Und deswegen ist es ihm auch persönlich ein Anliegen, dass diese Japan-Reise nicht allzu früh endet. So war am Montag im Yoyogi Nationalstadion erst einmal Erleichterung darüber zu spüren, nach der Ein-Tor-Niederlage gegen Spanien nun einen Sieg gegen Argentinien erreicht zu haben. "Heute hat viel Druck auf der Mannschaft gelastet", sagte Gislason und musste sich gleich wieder ins Video-Kabuff verabschieden: Schon am Mittwoch wartet ja Rekord-Weltmeister Frankreich. Uff.

Was ganz gelegen kommt: In der Enge Japans hat Gislason die Weite des deutschen Spiels vorangetrieben, das konnte man schon in der Auftaktpartie feststellen, aber nun auch beim 33:25 (14:13) gegen Argentinien. Timo Kastening, 26, und Marcel Schiller, 29, waren die erfolgreichsten Torschützen der Partie, beide sind auf den Außenpositionen beheimatet. Sieben Tore konnte jeder von ihnen erzielen, mal einlaufend und springend, mal per Konter. Oder sie überzeugten als Lockvogel für die Kollegen: Einmal flitzte Kastening den ganzen Kreis von links nach rechts entlang und riss damit die entscheidende Lücke für einen Treffer von Philipp Weber.

Die größte Aufmerksamkeit im Handball kommt den Rückraumspielern zu, Handballer auf der "Königsposition" auf der linken Seite sind oft die wertvollsten Spieler. Jene, die Spiele alleine entscheiden können, Typen wie Dänemarks Mikkel Hansen oder Frankreichs Nikola Karabatic. Schon seit Jahren sucht man im deutschen Team nach dem richtigen König, die Prinzen sind dabei in der Zeit vor Gislason aus dem Blickfeld geraten. Dabei bringen sie mit ihren Kontern oft die einfachsten Tore hervor, sind zudem mit die Schnellsten auf dem Feld. Gegen Frankreich werde das Umschaltspiel wichtig sein, sagte Gislason, "wir brauchen eine richtig gute Torhüterleistung und Druck nach vorne". Dabei dachte er freilich auch an seinen Rückraum, aber auf die Tore der Außen kann das Team nicht mehr verzichten.

Dauerläufer Schiller stand 59 von 60 Minuten auf dem Feld

Im März hatte Schiller entscheidend dazu beigetragen, die Olympia-Qualifikation zu sichern, die Erinnerung daran hat er nun neu belebt: Gegen Argentinien stand er 59 von 60 Minuten auf dem Feld. Kapitän Uwe Gensheimer wurde erst in der 46. Minute von Gislason eingewechselt, er sollte einen Siebenmeter verwandeln. Doch Gensheimer traf stattdessen Argentiniens Torwart Juan Bar am Kopf, der Schiedsrichter zeigte ihm die rote Karte. "Klar, es ist unglücklich", sagte der 34-Jährige später, konzentrierte sich aber auf den Erfolg, "wir haben das Spiel gewonnen, deswegen bin ich jetzt auch glücklich", sagte er. Ausgerechnet sein 200. Länderspiel ging nun mit diesem Kurzeinsatz über die Bühne. "Es ist natürlich schade für ihn, dass es in so einem Spiel passiert", sagte Gislason und fügte schmunzelnd hinzu: "Selber schuld."

Die beiden Außen, Schiller und Kastening, erleben gerade ihre ersten Olympischen Spiele, auch ihnen unterliefen noch Fehler, wie ihren Kollegen. Wie schon beim Turnier-Auftakt gegen Spanien brachten sich die Deutschen auch gegen Argentinien um viele Tore. "Wir haben so viele einfache Würfe vergeben, das müssen wir besser machen", sagte Schiller, der selber auch bei einem Siebenmeter gescheitert war. Umso bewusster ist ihm, dass der nächste Gegner Nachlässigkeiten härter bestrafen wird: "Entscheidend wird sein, dass wir gegen diese Mannschaft von Anfang an da sind."

Die Franzosen konnten ihre ersten Spiele gegen Argentinien und Brasilien souverän gewinnen, die ersten vier Teams aus der Sechsergruppe mit Norwegen kommen ins Viertelfinale. "Wir gehen sehr hungrig an die Sache heran", kündigte Bundestrainer Alfred Gislason noch an. Der ein oder andere ist ja auch schon auf den Geschmack dieser Spiele gekommen.

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