Süddeutsche Zeitung

Deutsche Handballer:Weshalb Heinevetter plötzlich wieder dabei ist

Lesezeit: 3 min

Von Saskia Aleythe, Berlin

Autobahn? Buckelpiste? Alfred Gislason wollte nicht so wirklich darauf eingehen, wie er sie denn nun genau wahrnimmt, diese "Road to Tokyo", auf der sich die deutsche Handball-Nationalmannschaft gerade befindet. "Wir wissen, dass es Stress sein wird", sagte Gislason im Hinblick auf das entscheidende Qualifikations-Turnier im April mit gebotenem Ernst. Der neue Bundestrainer saß bei seiner ersten Kader-Verkündung in der japanischen Botschaft in Berlin: vertäfelte Wände, großzügige Gemälde, wuchtige Kronleuchter. Es sollte jetzt doch gerne besinnlicher zugehen als zuletzt im Verband.

Das japanische Flair passte dann auch zur Art der Nominierung von Gislason: Große Umwälzungen werde es unter ihm momentan nicht geben, das hatte der 60-Jährige auch schon bei seiner Amtsübernahme vor nicht einmal vier Wochen angekündigt - die Zeit drängt, Mitte April muss sich das DHB-Team in Berlin gegen Schweden, Slowenien und Algerien beweisen, will es das Ticket für Tokio lösen. Gislasons Priorität: Kontinuität, bis auf vier Änderungen ist sein Team dasselbe wie zuvor unter Christian Prokop, dessen Entlassung für einigen Wirbel gesorgt hatte, nachdem ihn der Deutsche Handball-Bund (DHB) kurz zuvor noch öffentlich unterstützt hatte. "Einige taktische Dinge" hatte Gislason am Montag in Berlin gleichwohl im Kopf, die anders laufen sollen als zuletzt, "aber ich muss aufpassen, nicht zu viel zu verlangen in zu kurzer Zeit." In aller Hektik muss sich Gislason nun in Geduld üben.

"Dass alle erwarten, dass wir den Weg nach Tokio schaffen, ist für einen deutschen Bundestrainer normal", sagte Gislason, gewisse Ansprüche kennt er ja auch aus 22 Jahren als Bundesligatrainer. Nach seiner Verpflichtung Anfang Februar habe er erst einmal eine "kleine Rundreise durch Deutschland" gemacht, und der Weg führte ihn auch zu Silvio Heinevetter.

Heinevetter ist zurück, ebenfalls Semper und Weinhold

Der Torhüter von den Füchsen Berlin wurde von Prokop für die Europameisterschaft im Januar nicht berücksichtigt, Gislason hat ihn nun wieder in seinen Kader berufen. In einer Woche trifft sich das Team zum Lehrgang in Aschersleben in Sachsen-Anhalt, bevor am 13. März das letzte Länderspiel vor dem Qualifikations-Turnier ansteht, in Magdeburg gegen die Niederlande. Die Nominierung ist als Anerkennung der Formkurve des 35-Jährigen zu verstehen, nicht aber als Abkehr von Andreas Wolff und Johannes Bitter, die bei der EM im Januar als Erfolgsduo gewirkt hatten.

"Ich habe ihm gesagt, dass Jogi Bitter und Andi Wolff die ersten zwei Torhüter sind", sagte Gislason, "aber dass er auch infrage kommt, wenn er im Klub mehr spielt." Bei den Füchsen Berlin ist Heinevetter in der Hinrunde der Bundesliga nur vereinzelt zum Einsatz gekommen, mittlerweile steht er wieder häufiger auf dem Parkett. Seine Berufung ins DHB-Team hängt laut Gislason vor allem damit zusammen, "dass Andi Wolff am 11. März noch ein Ligaspiel in Polen hat und erst am 12. März zur Mannschaft stößt".

Nach auskurierten Verletzungen und Erkrankungen sind Steffen Weinhold und Franz Semper wieder mit von der Partie, sie sollen die bei der EM im Januar vermisste Stärke im Rückraum zurückbringen. Zudem ist Linksaußen Marcel Schiller ins Team gerutscht. Er ersetzt den verletzten Kapitän Uwe Gensheimer, auf den Gislason ebenso verzichten muss wie auf die Rückraumspieler Paul Drux und David Schmidt - die Personallage hat sich im Vergleich zur EM jetzt nicht sonderlich entspannt. Martin Strobel hätte Gislason gerne zurück in die Mannschaft geholt, der habe ihm aber abgesagt, "weil es gesundheitlich keinen Sinn macht". Und so vertraut der Isländer nun auf seine eigenen taktischen Kniffe, mit denen er die deutsche Auswahl olympiatauglich machen will.

Gislason will an der Geschwindigkeit arbeiten

Schnelle Mitte, Tempo-Gegenstöße, spezielle Angriffsformationen gegen bestimmte Abwehr-Systeme - der Fokus soll vor allem auf der Offensive liegen und bei der Geschwindigkeit, die man im deutschen Team tatsächlich häufiger vermisst hatte. "Vieles, was wir in Kiel in den vergangenen Jahren gespielt haben, wird da auch einfließen", sagte Gislason; mit dem THW Kiel war er immerhin sechs Mal deutscher Meister geworden. Es gibt schlechtere Referenzen.

Das Ziel Olympia-Gold hat vor allem DHB-Vizepräsident Bob Hanning in den vergangenen Jahren immer wieder ausgerufen, am Montag gab er nun noch einen pragmatischen Hinweis: "Natürlich wollen wir um die Goldmedaille mitspielen, aber ich mahne an, sich erst mal zu qualifizieren." Wäre auch blöd, wenn man schon das Menü für die Siegerfeier aussucht und dann feststellt, dass das Restaurant einen gar nicht reinlässt.

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SZ vom 03.03.2020
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