Süddeutsche Zeitung

Deutsche Handballer bei der EM:Hiobsbotschaft am Montagabend

Lesezeit: 3 min

Das deutsche Handball-Team wähnte sich bei der EM in corona-sicherer Umgebung. Doch der Schein trog: Fünf Spieler um Torwart Andreas Wolff wurden positiv getestet und in Quarantäne geschickt.

Von Ralf Tögel

Da stand er und wusste nicht so recht, wie ihm geschah. Er sei "ein bisschen überwältigt", sagte Till Klimpke, "ich habe nicht geglaubt, dass es so ein gutes Spiel wird." Viel mehr brachte der 23-jährige Handball-Torhüter in diesem Moment nicht heraus, da von allen Seiten Lob auf ihn einprasselte. Nach einem eher mäßigen Einstand im Auftaktspiel gegen Belarus hatte Klimpke beim 34:29-Erfolg gegen die Auswahl Österreichs mit 14 teils äußerst sehenswerten Paraden sein ganzes Können gezeigt.

Doch die Freude über den Sieg war am Montagabend gründlich verflogen. Denn das Team, im Vergleich zum Nachbarland Ungarn in der Slowakei unter vermeintlich sicheren Corona-Bedingungen untergebracht, erhielt eine niederschmetternde Nachricht: Neben Julius Kühn und Hendrik Wagner wurde nun auch ein Quintett um Klimpkes Torhüter-Kollegen Andreas Wolff positiv auf das Virus getestet. Und das unmittelbar vor dem letzten Vorrundenspiel gegen Polen am Dienstag (18.00 Uhr/ZDF), in dem es um den Gruppensieg und damit um zwei wichtige Punkte geht, die der Sieger mit in die Hauptrunde nimmt.

"Die fünf Spieler haben sich auf ihren Einzelzimmern in Isolation begeben. Auch alle weiteren Delegationsmitglieder haben sich nach Bekanntwerden der Ergebnisse auf ihre Zimmer im Teamhotel in Bratislava zurückgezogen", schrieb der Deutsche Handballbund (DHB) in einer eilig verfassten Pressemitteilung über die deutschen Coronafälle drei bis sieben.

Der vorherrschende Eindruck im Team ab sofort: "Es kann jeden erwischen"

Das Spiel gegen Polen wird nun ohne die sieben Betroffenen stattfinden, die Vorrunde ist auch im Falle einer Niederlage bereits gebucht. Betroffen sind neben Torhüter Wolff Rückraumspieler Kai Häfner, Rechtsaußen Timo Kastening, Linksaußen Lukas Mertens und Spielmacher Luca Witzke. Bezüglich Nachnominierungen nahm der DHB umgehend mit dem europäischen Handballverband EHF sowie "mit Spielern und Vereinen der Bundesliga" Kontakt auf.

Mit Erfolg: Torwart Johannes Bitter (HSV Hamburg), Linksaußen Rune Dahmke (THW Kiel), Kreisläufer Sebastian Firnhaber (HC Erlangen) sowie die Rückraumspieler Paul Drux und Fabian Wiede (Füchse Berlin) werden bereits am Dienstag in Bratislava eintreffen, um die deutsche Auswahl gegen Polen zu verstärken. Das Quintett war am späten Montagabend nachnominiert worden, um die Ausfälle der insgesamt sieben Profis aufgrund ihrer positiven Befunde aufzufangen.

Bitter, Dahmke, Wiede und Firnhaber zählen zum 35er-Kader, der bereits Anfang Dezember vom deutschen Verband nominiert werden musste. Dank einer Ausnahmegenehmigung der EHF kann auch der nicht zu diesem Kreis zählende Berliner Rückraumspieler Drux nachrücken. Alle fünf nachgereisten Akteure müssen indes bis zum Anpfiff in Bratislava einen negativen PCR-Test vorgelegt haben. Zudem wird sich die gesamte deutsche Delegation am Dienstag einer weiteren PCR-Testung unterziehen.

Die Verunsicherung im Kader könnte freilich größer nicht sein, denn die positiven Befunde haben die deutsche Delegation völlig überraschend erwischt. "Wir haben uns vorher sicher gefühlt, weil wir uns streng an alle Vorgaben gehalten haben", sagte etwa Spielmacher Luca Witzke, doch dieses Gefühl der Sicherheit ist nun futsch: "Am Abend nimmt man das Thema auch mit ins Bett, es kann jeden erwischen, das weiß jeder von uns."

Gislasons "krasser Umbruch" könnte nun ein Vorteil sein

Dass Gislason wie schon gegen Belarus auch beim Sieg gegen Österreich einiges ausprobierte mit seinen vielen Debütanten, könnte der Mannschaft angesichts der aktuellen Entwicklungen nun zugute kommen. Die prächtige Stimmung jedenfalls hat am Montagabend einen fürchterlichen Dämpfer erhalten, Gislason wird nun mehr den je zum Improvisieren gezwungen sein. Immerhin kann er gegen die Polen auf die Dienste des zuletzt so starken Klimpke zählen.

Der konnte in den vergangenen Jahren bei der HSG Wetzlar in aller Ruhe zu einem Bundesliga-Spitzentorhüter reifen. Die Torwartschule der Mittelhessen hat einen exzellenten Ruf, die Akteure genießen dabei eine gewisse Ruhe, stehen nicht so im Rampenlicht wie bei den Topvereinen der Liga. Der Mann hinter dieser bemerkenswerten Entwicklung ist Wetzlars Torwarttrainer Jasmin Camdzic, durch dessen Schule einst auch Andreas Wolff ging.

Nachdem Klimpke in der Liga der Durchbruch längst gelungen ist, dürfte ihm die Leistung gegen Österreich auf internationaler Bühne einen entscheidenden Schub geben. Zur rechten Zeit, Stammtorwart Wolff wird vorerst nur zuschauen können. Der Routinier befindet sich wie seine infizierten Kollegen für fünf Tage im Hotel in Isolation. Immerhin scheint eine Rückkehr in der EM-Hauptrunde nicht undenkbar.

Dabei war die Stimmung im Kader bestens, wie Christoph Steinert, ebenfalls Debütant, der gegen Austria fünfmal traf und wie gegen Belarus überzeugte, am Sonntagabend noch fröhlich bestätigt hatte. Nun kann sich der Erlanger wenigstens auf die Ankunft des Vereinskollegen Sebastian Firnhaber freuen, der bei der WM in Ägypten sein erstes große Turnier gespielt hatte. Trainer wie Spieler hatten ja immer wieder betont, wie wichtig noch jeder einzelne Akteur im Turnierverlauf werden würde. Zu diesem Zeitpunkt konnte allerdings niemand erahnen, wie schnell diese Worte an Bedeutung gewinnen werden. Zumal die Hauptrunde der deutschen Auswahl mindestens weitere vier Spiele garantiert. Weiter will derzeit natürlich niemand denken.

Dass Gislason konsequent auf die Zukunft setzt und einen "krassen Umbruch" in Bratislava in Gang brachte, könnte nun ein kleiner Vorteil sein. Ob die Lockerheit, die sich die junge Auswahl bisher erspielt hat, auch bei den weiteren Aufgaben zu sehen sein wird, erscheint allerdings fraglich.

Gleichwohl muss ein positives Testergebnis nicht zwingend das EM-Aus bedeuten: Julius Kühn etwa könnte nach überstandener Quarantäne mit zwei negativen Tests theoretisch schon am Donnerstag zum Start der Hauptrunde zurück auf dem Spielfeld sein. Wie das mit den anderen infizierten Spielern aussehen kann, darüber will beim DHB derzeit niemand spekulieren.

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