Süddeutsche Zeitung

Eisschnelllauf:Bodyguard als Präsident

Lesezeit: 3 min

Matthias Große, Geschäftsmann und Lebensgefährte von Claudia Pechstein, wird Chef der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft. Es ist eine sehr umstrittene Personalie.

Von Johannes Aumüller und Barbara Klimke, Frankfurt

Die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) gehört schon seit Langem zu den größten Problemfällen im deutschen Sport. Die sportliche Situation ist unbefriedigend, die wirtschaftliche angespannt, die Spannungen und Spaltungen innerhalb des Verbands sind immens. Und nun spitzt sich die Lage noch einmal zu. Denn in dieser Woche ist überraschend ein neuer Präsident ernannt worden: Matthias Große, 52, seines Zeichens ein Berliner Geschäftsmann und der Lebensgefährte von Deutschlands erfolgreichster Eisschnellläuferin Claudia Pechstein. Noch selten hat es an der Spitze eines olympischen Fachverbandes eine so umstrittene Personalie gegeben.

Das zeigt sich zum Beispiel an der ungewöhnlich scharfen Gegenwehr der Sportler. "Ich habe seine Kandidatur nicht befürwortet und halte ihn auch weiterhin nicht für einen geeigneten Präsidenten", sagte am Freitag der DESG-Athletensprecher Moritz Geisreiter. Es sei ganz wichtig, dass der Präsident eine Person sei, "zu der man charakterlich aufschauen kann, mit der man sich identifizieren kann und die auf motivierende Art vorne stehen kann. Da passt es für mich nicht ins Bild, dass Matthias Große so viele schwelende Konflikte mit ins Amt bringt."

Über Großes Auftreten gab es schon verschiedene gravierende Beschwerden

In der Tat ist Große eine Person, die im vergangenen Jahrzehnt im deutschen Sport extrem gespalten hat - und von der sich diverse Beteiligte regelrecht eingeschüchtert fühlten. Große hatte lange mit dem Eisschnelllauf-Sport überhaupt nichts zu tun. Er wuchs in der DDR auf, in den Achtzigerjahren studierte er an der Militärhochschule Minsk, nach der Wende begann er als Unternehmer, unter anderem im Immobilienbereich. 2009 lernte er Pechstein kennen, als diese gegen ihre Zwei-Jahres-Sperre wegen auffälliger Blutwerte ankämpfte. Seitdem bilden die beiden das "Team Pechstein" und tritt Große als eine Art Bodyguard der Eisschnellläuferin in Erscheinung.

Dabei gab es viele gravierende Beschwerden über das Auftreten des Mannes mit der kräftigen Statur und der markanten Glatze. "Einige Athleten sprachen davon, dass er bedrohlich und einschüchternd sei", berichtet Athletensprecher Geisreiter. Insbesondere wer sich rund um Pechsteins Sperre kritisch über die Eisschnellläuferin äußerte, konnte dies erfahren. Der Anti-Doping-Experte Fritz Sörgel berichtete von Belästigungen, zwei Mitglieder aus dem Sportausschuss des Deutschen Bundestages informierten nach Anrufen Großes in ihrem Büro sogar den Sicherheitsdienst des Hauses. Große bestritt damals, gedroht zu haben; er habe nur klare Ansagen gemacht.

Zudem gab es auch im Eisschnelllauf-Team Konflikte zwischen Pechstein/Große und anderen Protagonisten. In dieser Saison eskalierte der Streit mit Trainer Erik Bouwman und Sportdirektor Matthias Kulik. Irgendwann wurde Große gar die Betreuer-Akkreditierung für die Weltcup-Saison entzogen, die er seit ein paar Jahren hatte - selbst bei Olympia in Sotschi und Pyeongchang. Der Grund: Er habe sich "verbandsschädigend" geäußert. Nun steht Große an der Spitze. Eine Zukunft Bouwmans und Kuliks in der DESG erscheint da schwer vorstellbar.

Erstaunlich ist, wie der Weg von Große ins neue Amt verlief. Normalerweise besteht das DESG-Präsidium aus vier Mitgliedern. Eines trat im Vorjahr aus gesundheitlichen Gründen zurück. Im November trat auch Präsidentin Stefanie Teeuwen ab - nachdem es auf einer "persönlichen Ebene zu Anfeindungen" gekommen sei, wie sie sagte, ohne dies zu präzisieren. Kaum war Teeuwen zurückgetreten, kam Große als Kandidat ins Spiel. Eigentlich hätte es im März eine außerordentliche Mitgliederversammlung und Neuwahlen geben sollen, die aber wegen Corona abgesagt wurden. Der reguläre Verbandstag ist erst im September. Und nun legte sich das zweiköpfige Restpräsidium - Uwe Rietzke und Dieter Wallisch - fest, Große bis dahin kommissarisch einzusetzen.

Das Duo begründet das damit, dass Großes Bewerbung vorgelegen und sich kein anderer aufgedrängt habe. Außerdem habe es Druck vom Bundesinnenministeriums (BMI) gegeben, das dem Verband die Fördermittel zahlt: "Maßgeblich war, dass - auch aufgrund der Berichterstattung über den Verband - die Frage von den Fördermittelgebern kam: Wie geht es jetzt weiter? Wir waren ein halbes Jahr ein Rumpfpräsidium von zwei Personen. Wir sind ja auch angehalten zu sagen, welche Konzepte wir vorlegen", sagt Rietzke. Wallisch wiederum bestreitet zwar, dass es bei dem Verband das oft genannte Defizit von 400 000 Euro gebe. Aber es sei klar, dass es neue Sponsoren brauche - offenkundig erhofft man sich die von Große.

Das BMI teilte mit, es werde "die weitere Entwicklung des Verbands mit Blick auf die Einhaltung der Fördervoraussetzungen weiter aufmerksam beobachten". Der DOSB als Sport-Dachverband will sich nicht zur Causa äußern. Man respektiere "seit jeher die vollumfängliche Autonomie unserer Mitgliedsorganisationen". Es ist aber kein Geheimnis, dass DOSB-Boss Alfons Hörmann in den vergangenen Jahren mehrmals sehr Pechstein-freundlich auftrat.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4941847
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 20.06.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.