Süddeutsche Zeitung

Grasshoppers Zürich:"Ein schwarzer Tag für den Schweizer Fußball"

Lesezeit: 3 min

Von Thomas Schifferle, Zürich

Am Tag danach musste Stephan Rietiker erklären, warum alles noch viel schlimmer kam als befürchtet. Mit dem größtmöglichen sportlichen Misserfolg hatte der Präsident der Grasshoppers Zürich längst rechnen müssen: Der Schweizer Rekordmeister ist am Sonntag zum ersten Mal seit 70 Jahren in die zweite Liga abgestiegen. Doch die Partie beim FC Luzern, die auch die letzte Hoffnung zunichtemachte, endete beim Stand von 0:4 mit dem Spielabbruch. Und die Spieler gingen ohne Trikots in die Kabine.

"Man kann mich als Weichei bezeichnen. Aber ich musste abwägen, auch wenn es Erpressung war", sagte Rietiker am Montag. Nach dem von skandalösen Umständen begleiteten Spiel waren viele Fragen offen. Zürcher Anhänger hatten nach dem Tor zum 0:4 in Luzern ihren Block verlassen und signalisiert, dass sie zu einem Platzsturm bereit waren, das Spiel wurde zunächst unterbrochen. Rietiker ließ sich mit Torwart Heinz Lindner auf ein Gespräch mit den wütenden Fans ein. Die forderten, dass die Spieler Trikots und Hosen vor ihnen ausziehen - als Zeichen, dass sie angeblich der Vereinsfarben nicht würdig seien. "Es war kein Kniefall, sondern es ging um Deeskalation", sagte Rietiker zur Rechtfertigung. Die Hosen ließen die Spieler an. Und dann war die Geschichte vom beispiellosen Niedergang eines Fußball-Traditionsvereins perfekt.

René C. Jäggi erklärt den Zürcher Fußball zum Sanierungsfall

Es hat schon andere Abstiege großer Klubs gegeben, es hat selbst Weltvereine getroffen. Und doch ist es eine besonders seltsame Vorstellung, dass in der Schweiz in der nächsten Saison ein Riese unter kleinen Klubs übers Land tingelt: ein Verein, der 27 Meistertitel gewonnen hat.

Der Abstieg der Grasshoppers hat nicht erst in dieser Saison begonnen, sondern vielleicht schon im Sommer 2004, als die Gönner in Zürich letztmals tiefrote Rechnungen beglichen. Die Grasshoppers bezogen ein neues Trainingsgelände, sie träumten weiterhin groß. Und Stephan Anliker sprach noch 2016 vom Titelgewinn. Er war der Vorgänger von Rietiker als Präsident, seit März ist er nur noch Großaktionär; der Niedergang lässt sich nicht ohne ihn erklären.

Anliker, 62, ein Architekt und ehemaliger Leichtathlet, hat viel Geld in den Klub gesteckt, etliche Millionen, um ihn am Leben zu halten. Aber die Grasshoppers begannen nicht erst unter ihm zu taumeln, der Prozess hatte bereits vorher begonnen. Im Frühjahr 2011 lagen sie acht Spieltage vor Schluss auf dem letzten Tabellenplatz der Liga. Die Saison darauf überstanden sie nur dank des Absturzes des FC Sion, dem 36 Punkte abgezogen wurden, und des Konkurses von Neuchâtel Xamax. Schon damals erklärte der frühere Basler Präsident und Kaiserslauterer Vorstandsvorsitzende René C. Jäggi den Zürcher Fußball zum "Sanierungsfall".

Seit Oktober 2018 haben die Grasshoppers kein Spiel gewonnen

Unter Anliker gab der Klub weiter viel Geld aus, und der Präsident schien die Gefahren nicht zu erkennen. Als vor anderthalb Jahren ein Verwaltungsrat einen Bericht zur Lage des Vereins vorlegte, warf Anliker ihn einige Monate später mit der Begründung raus, er habe Kompetenzen überschritten. Der Bericht hatte Verschwendung offengelegt: einen aufgeblasenen Apparat schon im Nachwuchs, hohe Löhne für kaum bekannte Spieler.

Sportchefs kamen und gingen unter Anliker, Trainer ebenfalls, Spieler erst recht: 167 waren es in seiner fünfjährigen Amtszeit. In diesem Winter, das jüngste Beispiel, kamen Yoric Ravet vom SC Freiburg und Caiuby vom FC Augsburg, um die Mannschaft vom Tabellenende wegzuführen. Eine Million Schweizer Franken kostete es, sie für ein halbes Jahr auszuleihen, mit mäßigem Erfolg. Der Unmut auf den Rängen nahm zu: Im März musste schon einmal ein Spiel wegen Fan-Ausschreitungen abgebrochen werden. Seit Oktober 2018 hat Zürich kein Spiel mehr gewonnen und seitdem obendrein zweimal den Trainer gewechselt.

Der frühere deutsche Nationalspieler Thorsten Fink, der Jahre zuvor in der Schweiz bereits einmal beim Serienmeister FC Basel gearbeitet hatte, gehörte zu jenen, die den Misserfolg nicht abwenden konnten. Er sprach von der Europa League, noch Ende Februar behauptete er, der Verein sei hervorragend aufgestellt. Wenig später, im März, war Fink entlassen. Präsident Rietiker ist erst seit sechs Wochen im Amt und zuvorderst als Sanierer gefordert. Er hat Berater eingestellt, die ihm helfen sollen, die Scherben aufzukehren. Als Trainer fungiert nun der Italiener Uli Forte, der auch nach dem Abstieg das Vertrauen der Vereinsführung genießt. Das Skandalspiel bezeichnete er als "rabenschwarzen Tag für den Schweizer Fußball". Noch ist die Saison nicht vorbei, drei Spieltage bleiben noch, am Donnerstag geht es zu Meister Young Boys Bern. Dann will Trainer Forte alle Maßnahmen ergreifen, "um den sofortigen Wiederaufstieg" zu schaffen. Und Präsident Rietiker kündigte an: "Es bleibt kein Stein auf dem anderen."

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SZ vom 14.05.2019
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