Süddeutsche Zeitung

Lee Westwood bei den British Open:Lässiger Ritt in den Sonnenuntergang

Lesezeit: 4 min

Der Engländer Lee Westwood ist eine der großen Figuren des europäischen Golfs, doch er konnte nie ein Major-Turnier gewinnen - trotzdem erlebt er eine der besten Phasen seiner Karriere.

Von Gerald Kleffmann, Sandwich/München

Die British Open hat einen neuen Star. Es ist Paul Larsen. Man tritt dem Engländer sicher nicht zu nahe, wenn man behauptet, bis zum Mittwoch kannten ihn nur wenige. Dann gab der Head Greenkeeper des Royal St. George's Golf Club im Golf Channel ein Interview - binnen Stunden wurde er gewürdigt wie ein Held. Head Greenkeeper ist ein ehrenvoller Beruf, diese Spezies verantwortet pingelig genau den Zustand von Golfplätzen. Bei der British Open, davon zeugt auch ein Foto, haben sie noch am Morgen vor dem ersten Abschlag mit einer Schere letzte Millimeter eines Grashalms an einem Lochrand gestutzt. Larsen selbst indes hat offenbar länger keinen Schnitt mehr erlebt, denn wie er bei seinem TV-Auftritt zeigte, trägt er die Haare auf spezielle Weise schön. Seine wie ein Vogelnest in alle Richtungen sprießende Frisur erhielt durch eine Spiegelbrille noch mehr Charisma. Und diese Kombination wurde gefeiert. Alice Cooper, ein passionierter Golfer, dürfte sich bei diesem Anblick wie ein brav gekämmter Schuljunge in Eton fühlen.

Sämtliche Golfberichterstatter von Rang und Namen, und da gibt es gerade in Großbritannien und den USA eine Menge, stürzten sich auf Larsens Erscheinung. Natürlich konnte man diese belächeln, aber zum einen ist zu betonen, dass er seinen Job tatsächlich gut macht. Zum anderen zeigt sein kurzfristiger Aufstieg zur Populärfigur, wie relevant alles bei einer British Open ist. Selbst Anfahrten der Topspieler werden im Fernsehen gezeigt. Man sieht dann Menschen, die aus einem Auto aussteigen und dann wieder verschwinden. Die Fans wiederum haben einen prächtigen Stechschritt parat, der eine ähnliche Dringlichkeit ausstrahlt wie der zelebrierte Gang von Personen, die sich beim Münchner Oktoberfest, wenn nicht gerade Pandemie ist, einen Sitzplatz im Augustiner-Zelt erbeuten wollen. Da zählt jede Sekunde. Bloß nichts verpassen.

Lee Westwood ist so gesehen das Mensch gewordene Wiesn-Zelt, gerade in England wollen ihn ja so viele sehen, natürlich war das an diesem Donnerstag nicht anders. Wobei man auch betonen muss, dass das kundige Golf-Publikum auf der Insel jede gute Leistung würdigt - aber bei den eigenen Landsleuten und insbesondere bei Westwood fällt der Applaus noch herzlicher aus. Westwood, 48, aus Worsop östlich von Sheffield, hat Thomas-Müller-Status, ist also eine Kultfigur. Trotz eines Mini-Makels. Der kernige Kumpeltyp gewann noch nie ein Major-Turnier, dabei ist er über die vergangenen 20 Jahre betrachtet der herausragende europäische Golfer. 44 Siege gelangen ihm weltweit, 25 auf der European Tour, er jubelte zigmal im Ryder Cup. Doch bei den Majors, den vier wichtigsten Events, könnte er diese Woche einen Rekord aufstellen, den er nicht verdient hat: Noch liegt er mit dem Amerikaner Jay Haas gleichauf - beide haben 87 Majors ohne Titelgewinn bestritten. Mit dem 88. wäre er an der Spitze. "Eine weitere Auszeichnung, yeah. Ich liebe es", sagte er selbstironisch, als ihn ein Reporter darauf ansprach.

Kürzlich heirateten er und Helen Storey in Las Vegas - sie ist auch sein Caddie

Das, was Westwood zu oft zum Verhängnis auf dem Weg zum letzten, ultimativen Triumph geworden ist, ist gleichzeitig auch ein Teil der Faszination, die den Golfsport auf diesem Niveau ausmacht. Führungen, auch hohe, bedeuten nichts, wenn man am Ende die Zitterhand bekommt. Oder andere eben cooler aufspielen. Westwood war 19 Mal in den Top Ten bei Majors. 2008 bei der US Open und 2009 bei der British Open schrammte er um jeweils einen Schlag am Playoff um den Sieg vorbei, 2010 war er Zweiter beim Masters in Augusta, 2013 führte er nach Runde drei bei der British Open. Seine Einstellung trotz allem ist bis heute, es immer wieder zu versuchen. "Du kannst nicht mehr als das machen", sagte er im St. George's GC, "was passiert, passiert." Sorgen um ihn muss sich keiner. Seit 27 Jahren hat er im Schnitt fast 900 000 Dollar Preisgeld verdient - pro Saison.

Am Donnerstag startete Westwood mit einer Runde von 71 Schlägen (+1) ins Turnier, Martin Kaymer, der in seiner Dreiergruppe mit Stewart Cink (USA, -4) noch spielte, benötigte 74 Schläge (+4). Mit diesem Ergebnis dürfte es bereits schwer werden, den Anschluss zur Spitze am Freitag zu halten. Verglichen mit früher findet Westwood sein kürzeres Spiel, die Schläge rund ums Grün, zwar besser. Vom Abschlag aus habe er aber nachgelassen, auch er spüre das Alter bei den langen Schlägen. Seine Formschwankungen sind, so sieht er das selbst, größer geworden, er sei auf lange Sicht nicht immer konstant. Nicht bei jedem Turnier habe er die gleiche Intensität im Spiel. Er sieht sich selbst herrlich entspannt.

Westwood strahlt überhaupt, das ist ein Erfolg auf ganz andere Weise, eine wahre Freude aus, die ihm sein Beruf immer noch macht. Er hat sich längst mit dem Umstand arrangiert, dass er wohl wie der einst so fähige Schotte Colin Montgomerie ohne Major-Titel enden könnte. Solche Geschichten gibt es nun mal im Golf. Aber dass er generell diese Serie an Majors ohne Sieg habe, zeige ihm auch, wie gut er über bald drei Jahrzehnte vorne mitspiele. Das sei für ihn auch ein "Rekord".

Womöglich ist Westwood unter den großen Namen seines Sports sogar derjenige, der mit der lässigsten Einstellung in den Sonnenuntergang seiner Karriere reitet. Kürzlich hat er Helen Storey in Las Vegas geheiratet, die seit längerem auch als sein Caddie arbeitet. Die beiden wirken schon so, als hätten sie viel Spaß, auch auf dem Platz. Westwood selbst erklärte, das Golfen habe wieder an Leichtigkeit gewonnen, seitdem er schlicht daran denkt, worum es geht: "einen kleinen Ball in ein kleines Loch zu kriegen".

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