Süddeutsche Zeitung

Zeitspiel im Golf:Eine Frage der Fairness

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Das niedrige Spieltempo des Golfers Bryson DeChambeau erhitzt gerade die Szene. Es geht nicht nur um die Einhaltung von Regeln, sondern auch um die Frage: Wo beginnt eigentlich Unsportlichkeit?

Kommentar von Gerald Kleffmann

Als die Kritik immer heftiger wurde und von allen Seiten auf Bryson DeChambeau, 25, einprasselte, erlaubte sich jemand bei Twitter, auf einen nicht ganz unwichtigen Fakt zu verweisen: Der Kalifornier sei doch kein Serienkiller! Darauf dürfte sich die Golfszene momentan also immerhin einigen, was das Gebaren dieses durchaus sonderbaren Mannes mit der Schiebermütze betrifft - es ist niemand umgekommen.

Ansonsten aber steht US-Profi DeChambeau - Spitzname "der Professor", weil er so viel tüftelt - derzeit schon am Pranger. Sein Vergehen: Er spielt zu langsam. Ein absurder Vorwurf? Keineswegs. Denn erstens stimmt es. Zweitens geht es in der Debatte, die dazu führte, dass sich DeChambeau "attackiert" fühlte und sich wie ein Angeklagter erklären musste, nicht nur darum, ob einer zu sehr trödelt, es zu genau nimmt mit dem minutenlangen Lesen von Puttlinien und dem Grübeln über die Schlägerwahl. Im tieferen Sinne geht es darum: Gibt es Unsportlichkeit, selbst wenn sich ein Verhalten innerhalb der Regeln abspielt?

Diese überwölbende Frage betrifft ja nicht nur Golf, auch im Tennis loten Akteure die Grenzen von Vorgaben nicht bloß aus, sie überschreiten sie wissentlich. Rafael Nadals Karriere begleiten seit jeher Diskussionen zum Gezupfe an Hemd und Hose, was immer wieder zur Überschreitung des zeitlichen Rahmens führt, der Spielern bis zum Aufschlag zur Verfügung steht; bei Grand Slams wie bald in New York beträgt dieser 25 Sekunden.

Ist das fair?

Doch Regeln sind wirkungslos, wenn sie nicht strikt umgesetzt werden. Oft schützt ein Name vor Sanktionen, denn - ein menschlicher Aspekt - es gehört bisweilen Mut dazu, Strafen gegen Lieblinge des Publikums auszusprechen. Man frage nach bei Carlos Ramos: Der Schiedsrichter hatte im US-Open-Finale 2018 Serena Williams regelkonform nach unerlaubtem Coaching und Gezeter in die Schranken verwiesen. Nach Sexismus-Vorwürfen der 23-maligen Grand-Slam-Siegerin fand sich der Portugiese seinerseits am Pranger wieder. Erlaubt wiederum ist das, womit Novak Djokovic seit langem auffällig ist: Der 16-malige Grand-Slam-Champion tippt, obwohl der Gegner bereitsteht, bis zu zehn-, zwölfmal den Ball vor dem Aufschlag auf. Serviert er vor Ablauf der neu eingeführten Shot Clock, die sich bewährt, kann kein Kontrahent, kein Referee das unterbinden. Nur: Ist das fair?

Man darf wohl nicht zu idealistisch sein, im Profisport versucht sich jeder Vorteile zu verschaffen, bekanntlich oft auch unlauterer Art. Umso bemerkenswerter ist es, wie vereint nun Golfprofis aus der Deckung kamen, um die Langsamkeit einiger Spezialisten, die jeder Amateur in seiner Welt auch kennt, exemplarisch am Übeltäter DeChambeau zu monieren. Dabei geht es den meisten nicht darum, dass die Vorgabe von 40 Sekunden, innerhalb derer geschlagen werden muss, nicht mehr so lax geahndet wird und endlich gegen Runden-Dauern von fünf Stunden angegangen wird. Wichtiger ist, was der erfahrene Ryder-Cup-Spieler Lee Westwood so formuliert: "Das langsame Spiel ruiniert das Wesen des Golfsports." Er forderte Respekt untereinander ein. 12 000 zustimmende Herzchen bekam der Engländer im Internet dafür.

Ein effektives Mittel, um fragwürdiges Benehmen nicht gleich mit der Keule zu beantworten, brachte Brooks Koepka ins Spiel. Der Weltranglisten-Erste schilderte, wie er einst mit Wutanfällen auf dem Platz zu kämpfen hatte. Er ließ sich filmen, sah sich selbst an - und erfuhr so, wie andere ihn sahen. So wollte er nicht sein. DeChambeau übrigens hat nach Tagen der Besinnung versprochen: Beim zweiten US-Playoff-Turnier, das am Donnerstag in Medinah, Illinois, beginnt, wolle er mehr aufs Tempo achten. Selbstreflexion ist stets ein Anfang zur Besserung.

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Quelle:
SZ vom 14.08.2019
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