Süddeutsche Zeitung

British Open:Nummer 304 schreibt Golf-Geschichte

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Sophia Popovs Karriere als Golferin verlief lange nach oben, dann war sie krank und hätte vor einem Jahr beinahe aufgehört. Nun gewinnt sie überraschend als erste Deutsche die British Open - ihr Weg dahin ist beispiellos.

Von Gerald Kleffmann, Troon/München

Auch am Morgen danach war sie fassungslos. "Heute bin ich als Major-Champion aufgewacht", übermittelte Sophia Popov bei Instagram. "Ich kann immer noch nicht begreifen, was gestern passiert ist", gab sie zu: "Eine einzige Woche hat mein Leben komplett auf den Kopf gestellt." Und das "auf eine gute Weise", wie sie zur Sicherheit anmerkte. Dazu postete sie ein Foto, auf dem sie selbst zu sehen war. Strahlend. Stolz. Mit einem kelchartigen Pokal in den Händen.

In ihrem kleinen Online-Bericht am Montag dankte sie allen, die ihr "auf verschiedenen Kanälen" Botschaften zukommen ließen. Sie könne nicht sofort antworten, was einleuchtete: Die halbe Golfwelt verneigte sich vor dieser Deutschen, die vor dieser besagten Woche die Nummer 304 der Weltrangliste war; die zu Beginn ihrer Profikarriere jahrelange körperliche Probleme hatte; die kürzlich noch als Caddy bei einer befreundeten Profi-Kollegin aushalf und nah dran war, tatsächlich ganz aufzuhören mit ihrem Sport, mit dem sie im Alter von fünf Jahren begonnen und der sie bis in die USA geführt hatte, auf die LPGA Tour.

Und nun also ist Popov, 27, in der Nähe von Boston geboren, in Weingarten aufgewachsen, Major-Siegerin. Die erste im deutschen Golf. Bei den Männern hatten es bislang vier deutsche Triumphe gegeben, je zwei von Bernhard Langer und Martin Kaymer, der ihr via Internet gratulierte.

Tränen schossen aus Popov hervor, kaum dass sie am Sonntagabend im schottischen Royal Troon Golf Club an der Südwestküste den letzten Putt gelocht hatte. Mit 277 Schlägen (70+72+67+68) distanzierte sie Jasmine Suwannapura aus Thailand (279/71+72+69+67) auf Rang zwei. Im vergangenen Jahr war die Geschichte der Gewinnerin bereits speziell gewesen. Bei ihrem allerersten Turnier außerhalb ihrer Heimat überrumpelte die 20 Jahre alte Japanerin Hinako Shibuno die komplette Konkurrenz.

"Smiling Cinderella" wurde sie genannt, weil sie so viel lachte. Popovs größten Erfolg, der ihr mit dem Siegerpreisgeld in Höhe von 675 000 Dollar das Sechsfache ihres Karriere-Verdienstes einbrachte, charakterisierte Ex-Ryder-Cup-Spieler Luke Donald nunmehr als "wunderbare Geschichte über Durchhaltevermögen und Entschlossenheit". Es ist eine andere, noch beeindruckendere Geschichte.

Drei quälende Jahre

Popov selbst war es, die nochmals an die größten Hürden erinnerte, die sie bis zu diesem schicksalhaften Sonntag im August 2020 zu überwinden hatte. Sie wollte auch ein bisschen erklären, warum sie im Moment, als der Sieg feststand, kurz "zusammenbrach". Popov, das zeichnete sich früh ab, war eines der größten Talente im deutschen Golf, sie durchlief mehrere Kader beim DGV. Ihr Weg verlief geradlinig nach oben, auch als College-Spielerin an der University of Southern California in Los Angeles, wo sie Kommunikationswissenschaft studierte, glänzte sie im Team.

Auf Anhieb holte sie 2014, mit 21, auf den Qualifying Schools, mehrtägigen, zermürbenden Qualifikationsturnieren, die Spielberechtigungen für die LPGA Tour und die Ladies European Tour. Natürlich zog sie Amerika vor, die LPGA Tour ist die finanzstärkste und ruhmreichste, wie die PGA Tour bei den Männern. Doch just als Popov durchzustarten glaubte, folgten quälende Jahre, in denen sie weder eigene noch öffentliche Erwartungen erfüllen konnte.

Tatsächlich hat Popov erst jetzt, am Sonntag, erstmals erklärt, dass sie damals eine Odyssee an Arztbesuchen zu absolvieren hatte, rund 20 in drei Jahren, ehe überhaupt festgestellt wurde, warum sie dauernd müde war und andere Symptome auftraten. Letztlich fand man heraus, dass sie an Lyme-Borreliose litt, einer durch Zecken übertragenen Krankheit. Rund zwölf Kilo verlor sie. Bis heute hält sie sich an einen klaren Ernährungs- und Fitnessplan. Spielerisch musste sie in der Folge Rückschläge hinnehmen, sie verlor die Tourkarte, und besonders bitter war es bei der vergangenen Qualifying School, als sie um einen Schlag die Rückkehr auf die LPGA Tour verpasste. "Ich hätte letztes Jahr fast aufgehört zu spielen", gab Popov nun zu: "Gott sei Dank habe ich es nicht getan."

Bis sie sich in Troon auf dem Gang zum letzten 18. Loch wie in "Herr der Ringe" fühlen durfte, weil die Landschaft (ohne Publikum) und das Meer sie an die Naturgewalten in dem Filmepos erinnerten, wurde ihr Durchhaltevermögen wahrlich auf Proben gestellt. Denn sportlich führte ihr Weg erst mal nicht eine Etage, sondern zwei Etagen tiefer. Popov hatte zwar für die zweitklassige Symetra Tour die Spielberechtigung, doch Corona legte den Betrieb lahm. Als schließlich auf der Cactus Tour, die eher als Einstieg für Talente gedacht ist, die ersten Events angesetzt wurden, nahm Popov teil.

Drei Turniere gewann sie, wofür sie 8800 Dollar erhielt. Amüsiert verriet Popov in Schottland, dass sie vor Freude mehrere Gläser Champagner getrunken hätte. Es seien ihre erste Siege als Profi gewesen. Als nach dem Restart das erste LPGA-Turnier anstand, in Toledo, Ohio, marschierte sie auf dem Platz mit - sie trug die Golftasche ihrer Kollegin Anne van Dam. Zu diesem Zeitpunkt hätte sie nicht mal heimlich an die British Open denken können. Dann half ihr aber, so hin und her geht ihre Geschichte, Corona. Weil einige Spielerinnen für das zweite LPGA-Event absagten, da sie nicht reisen wollten, rückte sie doch ins Feld. Und wurde Neunte. Mit diesem Top-Ten-Rang hatte sie überraschend einen der zehn letzten Startplätze für Troon ergattert. Dass sie in Form war, zeichnete sich da längst ab. Bei einem Symetra-Turnier vor der British Open wurde sie Zweite.

Wie ihr dann die Sensation gelang? "Ich glaube, dass ich ruhiger geworden bin", sagte sie. Generell greife sie gerne an. In Troon verfolgte sie die Taktik: "Fairways und Grüns, den ganzen Tag." Also den Ball so gerade wie möglich nach vorne befördern. Und dann aufs Grün, egal wo die Fahne steht. Dass sie zuletzt exzellent puttete, gab ihr die Zuversicht, auch aus einigen Metern Entfernung einzulochen. Und genau so kam es. Am Samstag hatte sie sich erstmals nach einer bogey-freien Runde in Führung gespielt und spürte nun am Sonntag den Druck der Gejagten. Sie startete mit einem Schlagverlust, doch lochte sogleich zwei längere Putts zu Birdies. Ihre gelobte Entschlossenheit ließ sie nicht einmal wackeln. Und wenn sie mal nervöser wurde, unterhielt sich ihr Lebenspartner Maximilian Mehles, der ihr Caddy war, mit ihr über Segelschiffe auf dem Meer.

Popov, die bei Phoenix lebt, hat nun die LPGA-Tourkarte erhalten, wenngleich sie für das nächste Major in Rancho Mirage (10. bis 13. September) nicht qualifiziert ist; berechtigt sind dort erst mal Spielerinnen, die vor der Corona-Pause im Feld gewesen wären. Die größte Erkenntnis für Popov, nun auf Rang 24 der Weltrangliste hochgeschossen, war aber ohnehin: "Ich fühle, dass ich dazugehöre." Auf dem Rückweg in die USA, das verriet sie noch, plane sie einen Stopp in Deutschland ein, zu ihrem ersten Heimatbesuch seit November. Ein bisschen was gibt es ja nun zu erzählen.

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SZ vom 25.08.2020
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