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Fußball-WM:Torwart Howard zum US-Verteidigungsminister ausgerufen

Lesezeit: 2 min

Die USA sind raus - doch die Fans feiern ihren Torwart, als habe er sie zum WM-Titel geführt. In den sozialen Netzwerken wird US-Keeper Tim Howard nach dem Spiel gegen Belgien vergöttert. Besonders im Fokus: zwei Wikipedia-Seiten.

Von Tobias Dorfer

Die Amerikaner haben einen neuen Helden - und jetzt kommt's: Er ist Fußballspieler! Tim Howard, 35 Jahre alt, ist einer der wichtigsten Gründe, dass "Soccer" in diesen Tagen so populär ist wie nie in den USA. Und das, obwohl für das Team von Jürgen Klinsmann nach der tragischen Achtelfinal-Niederlage gegen Belgien die Fußball-WM beendet ist.

Aber die US-Boys machten es den favorisierten Belgiern wenigstens schwer. Da konnte die Mannschaft von Marc Wilmots noch so schön kombinieren - am Ende stand allzu oft Howard. Er überzeugte mit teilweise aberwitzigen Paraden und hielt sein Team ganz allein im Spiel. Zumindest 93 Minuten lang. Dann traf Kevin De Bruyne zur Führung der Belgier. Nach 120 Minuten stand es 2:1. Die USA sind ausgeschieden - aber Torwart Howard wird gefeiert, als habe er sein Team eben zur Weltmeisterschaft geführt.

Belgiens Kapitän drückte nach Spielschluss seinen Respekt vor der Leistung des gegnerischen Keepers aus.

Pop-Trällerbarde Justin Timberlake schwankte zwischen großen Emotionen und typisch amerikanischem Stolz:

Und Sänger Wyclef Jean rief Howard kurzerhand zum besten Torhüter der Welt aus.

Auf Twitter nahmen prompt die Netzkreativen ihre Arbeit auf.

Und so mancher Amerikaner träumte von einem Super-Torwart, den Howard mit der Keeperin des Frauen-Teams, Hope Solo, zeugen könnte (auch wenn der frühestens bei der Fußball-WM 2034 antreten könnte).

16 Torschüsse parierte Tim Howard im Belgien-Spiel - so viele wie kein anderer Torwart in einem WM-Spiel seit 1966. Grund genug für manche Twitter-User, die Ballbesitz-Statistik neu interpretierten:

Tim Howard ist nicht nur einer der besten Torhüter dieser WM, er ist auch ein Profi mit einer außergewöhnlichen Biographie. Denn der 35-Jährige, der in der britischen Premier League für den FC Everton spielt, leidet am Tourette-Syndrom - eine neuropsychatrische Erkrankung, die sogenannte "Tics" zur Folge hat. In einem Interview mit dem Spiegel beschrieb Howard vor etwas mehr als einem Jahr selbst, wie er mit den Launen seiner Muskeln und den Zuckungen, die immer wieder auftreten, umgeht. Das Erstaunliche: "Sobald es vor dem Tor ernst wird, habe ich keine Zuckungen, dann gehorchen meine Muskeln." Nicht einmal seine Ärzte könnten sich dieses Phänomen erklären.

Wie imposant die Leistung des amerikanischen Schlussmanns im Spiel gegen Belgien war, zeigt eine Grafik der New York Times, die alle Schüsse auf Howards Tor zusammenfasst und zudem die Entstehung des zweiten Tores durch Romelu Lukaku beschreibt.

Die Howard-Fans tobten sich aber nicht nur auf Twitter aus. Wer sich in den Stunden nach dem Spiel durch Wikipedia klickte, traf auf einige Überraschungen.

Wikipedia-Seite des US-Verteidigungsministers

Um eines gleich zu Beginn klarzustellen: Daran, dass Chuck Hagel für die Sicherheitsbelange der Vereinigten Staaten von Amerika zuständig ist, hat sich auch nach dem Achtelfinale nichts geändert. Und doch wurde die Wikipedia-Seite von Hagel kurzzeitig von Fußball-Fans geentert. Zeitweise sah die Seite folgendermaßen aus:

(Die Version lässt sich über diesen Link aufrufen.)

Wikipedia-Seite von Tim Howard

Auch auf der Lexikon-Seite von Howard selbst tat sich einiges. Mal schmuggelten Fans ihm den Spitznamen "Ziegelmauer" in die Biographie, dann war er sogar der "American Jesus".

(Die Version lässt sich über diesen Link aufrufen.)

Zeitweise gingen die Howard-Anhänger sogar noch weiter. "Er ist tatsächlich Superman, aber er nutzt seinen Bart, um sich als sein Alter Ego Tim Howard zu verkleiden. Nichtsdestotrotz ist er der größte Amerikaner aller Zeiten seit Franklin D. Roosevelt und ein Held der Vereinigten Staaten."

(Die Version lässt sich über diesen Link aufrufen.)

Inzwischen sind die Wikipedia-Seiten, an denen jeder User mitschreiben kann, wieder von allen Howard-Honorationen befreit. Aber ein paar Stunden weltweiten Ruhm im Netz sind dem Torwart nicht mehr zu nehmen.

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