Süddeutsche Zeitung

Kroatiens Spielmacher:Der Wind des Abschieds umweht Modric

Lesezeit: 3 min

Das Aus gegen Argentinien war wohl Luka Modrics vorletztes Spiel bei einer WM. Bald muss die größte Bühne ohne den begnadeten Regisseur auskommen, dessen Geschichte immer leise erzählt wurde.

Von Martin Schneider, Lusail

Luka Modric hatte eine Ecke für Kroatien gesehen, und vielleicht wäre dann alles ganz anders gekommen. Unmittelbar bevor das Spiel mit dem ersten Elfmeter in die Richtung Argentiniens kippte, hatte Kroatien einen ganz guten Angriff gespielt. Modric selbst hatte ihn eingeleitet, indem er seinen Gegenspieler tunnelte. Über mehrere Stationen landete der Ball bei Ivan Perisic, der schoss übers Tor. Wobei - war der Ball nicht doch abgefälscht? "Es hätte Ecke für uns geben sollen", sagte Modric später. Und wenn der Schiedsrichter die Ecke gibt, "ist es kein Elfmeter".

Die Wiederholungen des TV-Weltbilds der Fifa lösten die Situation nicht eindeutig auf. Schiedsrichter Daniele Orsato war sich schnell sicher, die Proteste der Kroaten aber auch ungewöhnlich intensiv für eine normale Abstoß-vs.-Eckball-Entscheidung. Was unmittelbar danach passierte, war jedenfalls unstrittig: Argentinien nutzte die erste Konfusion in Kroatiens Abwehr, Verteidiger Dejan Lovren verlor bei einem Steilpass kurz die Orientierung, Torwart Dominik Livakovic räumte Argentiniens Angreifer Julián Álvarez ab, Strafstoß.

"Ich denke, wir haben die Situation bis dahin kontrolliert", sagte Modric und hatte damit recht. Es liest sich immer ein wenig seltsam, wenn ein Spiel, gerade ein WM-Halbfinale, am Ende eindeutig 3:0 für den Gegner endet. Aber bis zum ersten Gegentor war Kroatien die strukturiertere Mannschaft, Modric konnte oft im Mittelfeld aufdrehen, Marcelo Brozovic war präsent, Mateo Kovacic hatte seine Aktionen. Allein, es fehlte die Durchschlagskraft nach vorne. "Uns fehlte der Wille, gefährlicher zu werden. Sie haben uns bis zum Elfmeter keine Probleme bereitet. Das macht mich ein bisschen traurig", sagte Modric: "Danach war es schwierig zu spielen und das war's."

Ein weiterer Erfolg des kleinen Kroatiens

Nach dem Elfmeter-Tor durch Lionel Messi sah sich Kroatien einer aufgepeitschten argentinischen Mannschaft gegenüber. Álvarez erzielte den zweiten Treffer kurz danach, indem er einfach 50 Meter lang auf direktem Wege durch die kroatische Hälfte zum Tor lief. Ein Tor, das so normalerweise nur auf der Playstation möglich ist, wenn jemand die "Sprint"-Taste durchdrückt.

Luka Modric trat übrigens nicht zurück nach dem Spiel, formal ist die WM für ihn auch noch nicht beendet, es kommt ja noch das Spiel um Platz drei an diesem Samstag. Aber es wehte bereits der Wind des Abschieds durchs Lusail-Stadion für einen der besten Mittelfeldspieler dieses Jahrtausends. In der 81. Minute nahm ihn Trainer Zlatko Dalic vom Feld, ob Modric weinte, war nicht genau zu sehen, aber er kämpfte mit den Emotionen. Nach dem Schlusspfiff tröstete ihn der Argentinier Ángel Di María, er spielte vier Jahre zusammen mit Modric bei Real Madrid.

Wahrscheinlich war es das letzte beziehungsweise vorletzte WM-Spiel des 37-Jährigen, der vor allem nach Überschreiten seines 30. Geburtstages die Kunst entdeckte, entgegen der biologischen Fußballgesetze einfach immer besser zu werden. Aber beim kommenden Turnier 2026 würde Modric die 40 überschritten haben, das wäre sogar für ihn eine Herausforderung. Allerdings findet schon in eineinhalb Jahren eine EM statt. 38 wird er dann sein, das ist kaum älter als 37. "Das ist eine großartige Generation", sagte Nationaltrainer Dalic, "es wäre schön, wenn wir sie noch krönen könnten." Er selbst werde bis zum Europa-Turnier in Deutschland weitermachen.

Auch wenn das Ausscheiden gegen Argentinien am Ende deutlich war, ist das Abschneiden für Kroatien erneut ein großer Erfolg. Das Land hat vier Millionen Einwohner, nach Katar, Wales und Uruguay war es 2022 die kleinste Nation im WM-Teilnehmerfeld. Seit 1998 darf Kroatien als unabhängiges Land bei Fußball-Weltmeisterschaften mitmachen, dreimal standen sie unter den besten vier der Welt - nur Deutschland und Frankreich gelang das seitdem häufiger.

Modric wurde nie als globaler Superstar vermarktet

Dass der aktuelle Halbfinal- und der Finaleinzug von 2018 viel mit Luka Modric zu tun haben, ist auch klar. Nach seinem großen Turnier in Russland bekam er den Goldenen Ball als Weltfußballer, als Erster, der die Serie von Lionel Messi und Cristiano Ronaldo durchbrach. Was ihn dazu gemacht hat, das sah man auch in Katar immer noch. Modric ist beidfüßig, aber eigentlich hat er drei Pass-Optionen: Links, rechts innen und rechts außen. Er fordert überall den Ball und er hat sowohl die Technik als auch die Körperbeherrschung, um ihn fast nie zu verlieren.

Das verbindet ihn mit Toni Kroos, seinem Mittelfeldpartner bei Real Madrid, auch wenn Modric den etwas dynamischeren Ansatz wählt. In der Regel spielt Modric dann auch den richtigen Pass, was nur eine scheinbar triviale Eigenschaft ist. Wenn er, wie in den Katakomben des Lusail, vor Dutzenden Journalisten steht, eine weiße Plastiktüte in der Hand, dann sieht er immer noch so aus, als wäre er eigentlich viel zu schmächtig für den Vollkontaktsport Fußball. "Man muss nicht robust sein", hat er dazu mal gesagt.

Viele Tore hat er nie erzielt, er wurde im Gegensatz zu anderen auch nie zu einem globalen Superstar gemacht. Seine Geschichte wurde immer leise erzählt: Als er nicht mal sechs Jahre alt war, brach der Jugoslawienkrieg aus, sein Großvater wurde ermordet, manchmal sprintete Modric mit dem Ball in den Bunker. "Krieg bringt niemandem etwas Gutes", sagte er mal, als er ausführlicher über die Zeit sprach und das Familienalbum öffnete.

Wahrscheinlich fällt es ihm leichter, ausgerechnet gegen Lionel Messi aus der WM ausgeschieden zu sein. Auch so ein Spieler, der nicht robust sein muss. "Ich hoffe, Lionel Messi gewinnt die WM. Er ist der beste Spieler in der Geschichte und verdient es", sagte Modric. Die richtig Guten erkennen sich ja meistens selbst am besten.

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