Süddeutsche Zeitung

Fußball:Seleção in der Pflicht

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Zu Beginn des Turniers noch stark in der Kritik, vor dem Halbfinale gegen Honduras plötzlich gefeiert: Die Olympiastimmung der Brasilianer hängt sehr stark vom Abschneiden ihrer Fußball-Nationalmannschaft ab.

Von Maik Rosner

An Pathos fehlt es selten, wenn Neymar da Silva Santos Júnior, kurz Neymar, über seine Dienste für sein Land spricht. Das ist auch diesmal nicht anders, und schon lange vor dem Halbfinale des olympischen Fußballturniers hatte der 24 Jahre alte Brasilianer sein Talent für wuchtige Worte vorgeführt, diesmal in Wunschform.

"Ich hoffe, ich kann ins Maracanã zurückkehren und das Siegtor schießen, mit einem Pass helfen oder wer weiß - wie auch immer es laufen mag, Hauptsache, wir wären die Gewinner", sagte er noch vor Beginn der Olympischen Spiele. Es ging um seinen "sonho", Traum, und allein der bevorstehende Auftritt in Brasiliens heiliger Fußballstätte beschwingt seinen Mitspieler Marquinhos zu ähnlich hymnischen Einlassungen. "Das ist ein Traum, ein Traum jedes Brasilianers, ein Traum von uns allen", sagte der Verteidiger über die Gelegenheit, im Maracanã zu spielen.

Die DFB-Elf kämpft auch um den Finaleinzug - gegen Nigeria

Im Halbfinale gegen Honduras an diesem Mittwoch (18 Uhr MESZ) werden Neymar und die Kollegen der brasilianischen Olympiaauswahl von Trainer Rogério Micale zumindest dieses Teilziel erreichen. Neymar ist damit schon weiter als vor zwei Jahren bei der WM im eigenen Land, als ihm nicht nur die Reise in Brasiliens Fußballtempel verwehrt blieb, sondern noch ganz anderes Leid über das Land des fünfmaligen Weltmeisters hereinbrach.

Die ganze Last der riesigen Erwartungen der 200 Millionen Brasilianer hatte der schmächtige Dribbler Neymar 2014 erstaunlich gut geschultert. Dem schwungvollen Kniesprung des Kolumbianers Juan Zuñiga im Viertelfinale hielt sein eher schmächtiges Kreuz aber nicht stand. Mit einem gebrochenen Lendenwirbel ging das Turnier für ihn zu Ende und bald darauf auch für die Kollegen der Seleção, durch das noch immer tief sitzende und wahrscheinlich für immer nagende 1:7 aus dem Halbfinale von Belo Horizonte gegen den späteren Weltmeister Deutschland. Die DFB-Elf wird an diesem Mittwoch ebenfalls um die Zulassung zum Finale am Sonnabend spielen. In São Paulo geht es um 21 Uhr MESZ gegen Nigeria.

Die Brasilianer aber werden drei Stunden zuvor auf das Maracanã blicken. Dort könnte durch einen Erfolg der Gastgeberelf die bisher meist eher verhaltene Olympiastimmung vorm letzten Wochenende doch noch einen kräftigen Schub bekommen. Das gilt erst recht, wenn es etwas werden sollte mit dem Finalsieg. Nichts würde die Brasilianer so sehr in Feierlaune versetzen wie die erste Goldmedaille im olympischen Fußballturnier, nach zuvor dreimal Silber und zweimal Bronze. Es wäre auch eine sportliche Genugtuung, und ganz nebenbei eine seltene Freude in wirtschaftlich und politisch tristen Zeiten für Brasilien.

Um dieses Ziel zu erreichen, verzichtete Neymar zuletzt sogar auf seine Teilnahme an der Copa America und sparte sich seine Kräfte lieber für Olympia auf. "Wir haben eine gute Möglichkeit, Geschichte zu schreiben", glaubt der Profi des FC Barcelona, "ich danke Gott, dass ich bei den letzten Olympischen Spielen vor vier Jahren eine Silbermedaille gewinnen konnte. Ich hoffe, dieses Mal holen wir Gold." Dieser Titel, erinnerte er, fehle dem brasilianischen Fußball noch. Zudem spiele man zu Hause. "Deswegen haben wir die Verpflichtung, zu gewinnen", sagte Neymar.

Das Turnier ist für ihn bisher allerdings eher mittelmäßig gelaufen. Die beiden ersten Spiele gegen Südafrika und Irak endeten 0:0, weshalb sich das Publikum Brasiliens bekanntester Fußballerin Marta zuwandte und den berühmten Kicker verspottete. Doch nach seinem ersten Turniertor gegen Kolumbien haben sich die Abtrünnigen rasch wieder besonnen. Solche Stimmungswechsel gehen in Brasilien besonders schnell, und die nationalen Medien stehen den Fans oft in nichts nach.

Vor dem Spiel gegen Honduras befand O Globo nun: "Brasilien und das Maracanã sind wieder vereint. Es ist keine WM, aber dieses Turnier kann den Stolz und die nationale Selbstachtung wiederherstellen." Allerdings hält das Spiel gegen den bisher kess auftretenden Außenseiter Honduras auch das Potenzial bereit, dass Neymars Traum noch eine schlechte Wendung nimmt und Brasilien nicht mehr in Olympiastimmung kommt. Das gilt auch für ein mögliches Finale gegen Nigeria oder Deutschland. Neymar hat vorsichtshalber schon mal vorgesorgt mit Zielen. "Ein Titel fehlt mir auch noch", sagte der Hoffnungsträger. Da ging es schon um die WM 2018 in Russland.

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Quelle:
SZ vom 17.08.2016
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