Süddeutsche Zeitung

Fußball:Die Niederlande wünschen sich van Gaal zurück

Lesezeit: 3 min

Von Ulrich Hartmann, Amsterdam/München

Der Telegraaf recherchierte direkt bei der größten Trainerfindungskommission - bei seinen Lesern: "Wer soll Nachfolger von Danny Blind werden?", lautete die Frage.

Solche Abstimmungen sind beliebt und aufschlussreich. Wie schlecht es diesmal um den niederländischen Fußball steht, verriet die Auswahl, die die Zeitung anbot. In Louis van Gaal, Ronald Koeman, Frank de Boer, Phillip Cocu, Ruud Gullit, Dick Advocaat, Henk ten Cate, Roger Schmidt und Jürgen Klinsmann präsentierte man neun Kandidaten. Van Gaal und de Boer lagen bei der Internet-Abstimmung vorne, auf Platz drei folgte Klinsmann.

Nach dem 0:2 in Bulgarien wird Danny Blind entlassen

Die Leser vom Telegraaf werden freilich nicht entscheiden, wer Blinds Nachfolger wird. Diese Nuss haben im Königlich-Niederländischen Fußball-Bund KNVB zuvorderst der Technische Direktor Hans van Breukelen und der eigentlich fürs Sponsoring zuständige Direktor Jean Paul Decossaux zu knacken. Decossaux gestand dann auch gleich, dass man bei der Suche Hilfe benötige. Er brachte Louis van Gaal als Ratgeber ins Spiel. Vor einigen Wochen hatten außer dem Sportdirektor Bert van Oostveen auch die Trainer-Assistenten Dick Advocaat und Marco van Basten den Verband freiwillig verlassen. Nun herrscht eine gewisse Kompetenz-Lücke.

Blind hatte Oranje weder taktisch noch individuell vorangebracht

Wohl deshalb will sogar der Kapitän helfen. Arjen Robben hätte am Montag an die Säbener Straße nach München zurückkehren sollen. Am Nachmittag wäre Training beim FC Bayern gewesen. Den Test seines Nationalteams an diesem Dienstag in Amsterdam gegen Italien will sich der 33-Jährige eigentlich ersparen. Aber Robben ist am Montag noch nicht nach München zurückgekehrt, stattdessen trainierte er mit Oranje in Alkmaar. In der Krise muss das Training in München warten.

Am späten Sonntagabend war Blind, 55, entlassen worden. Seine Tätigkeit hat effektiv nicht mal 19 Monate gedauert, die Debatte im Verband über seine Suspendierung immerhin einige Stunden. Jede Trainer-Entlassung ist ein Eingeständnis, aber weil die Fußballer in Bulgarien 0:2 verloren und die Qualifikation zur WM 2018 akut gefährdet ist, nahm man die Schmach in Kauf und Blind aus der Verantwortung. Er hatte Oranje weder taktisch noch mental noch individuell vorangebracht.

Mentalität, Taktik, individuelle Klasse - in der facettenreichen Debatte über die niederländischen Fußballer wird alles in Frage gestellt. "Die Probleme sitzen tiefer", behauptet der langjährige Bundesliga-Trainer und heutige Ruheständler Huub Stevens: "Wir haben zu wenige junge Spieler mit Siegermentalität entwickelt." Dabei hatte Blind gerade das Gegenteil beweisen wollen, als er in Sofia den Amsterdamer Verteidiger Matthijs de Ligt in die Startelf berief. "Piepjong", nennt man in den Niederlanden so einen 17-Jährigen - blutjung. Aber der Debütant war überfordert. Blind nahm ihn zur Pause heraus. Ein Generationswechsel ist keine Hau-Ruck-Prozedur.

Einen effektiveren Umgang gerade mit den jungen Spielern traut man Blinds Vorvorgänger Louis van Gaal, 65, zu. Der ehemalige Trainer des FC Bayern leitete zuletzt die Fußballer von Manchester United an, wurde aber vor knapp einem Jahr entlassen und erklärte daraufhin seinen Rückzug ins Private. Während der beim FC Everton erfolgreich tätige Ronald Koeman schon abgelehnt hat, könnte van Gaal zum dritten Mal die Verantwortung übernehmen.

Bereits von 2000 bis 2002 sowie von 2012 bis 2014 war er Nationaltrainer. Beim ersten Mal scheiterte er an der WM-Qualifikation und wurde gefeuert. Beim zweiten Mal führte er die Niederlande bei der WM in Brasilien auf Platz drei. Damals wetterten viele über seine Defensivtaktik samt Fünferkette. Heute wären sie wohl froh, wenn van Gaal einen zweiten Qualifikations-K.-o. verhindern würde, nachdem die Niederlande schon die EM 2016 in Frankreich verpasst hatten.

Gegen Italien fungiert zunächst Blinds Assistent Fred Grim, 51, einst Torwart von Ajax Amsterdam und Junioren-Nationaltrainer, als Interimscoach. Wenn die Niederlande am 31. Mai in Casablanca gegen Marokko und am 4. Juni in Rotterdam gegen die Elfenbeinküste testen, soll der neue Coach schon auf der Bank sitzen. Am 9. Juni geht es in Rotterdam gegen Luxemburg wieder um Punkte für die WM-Qualifikation. In Frankreich (31. August), gegen Bulgarien (3. September), in Weißrussland (7. Oktober) und gegen Schweden (10. Oktober) geht es dann darum, die Schweden auf Platz zwei oder gar die Franzosen auf Rang eins der Gruppe A noch einzuholen.

Robben warnt aber vor der Hoffnung, mit einem neuen Trainer seien alle Probleme gelöst. "Uns fehlt schlicht die Qualität", sagt er. Das wird auch der Neue zu spüren bekommen.

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SZ vom 28.03.2017
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