Süddeutsche Zeitung

Fußball: Fifa-Reglement:Pinacolada für alle!

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Jermaine Jones hat noch kein Pflichtspiel für den DFB bestritten und darf deshalb künftig für die USA spielen. Die neue Fifa-Regel wird noch schlimmere Folgen haben.

Thomas Kistner

Die Bahamas, hach! Raunende Wellen; sanft schaukelt die Hängematte in der karibischen Brise, den einen Drink noch, rein damit, aaah ... - jetzt aber mal rasch rüber ins Kongresszentrum. Sind ja nicht zum Spaß hier, oder?

Selbst hartgesottenen Fußballfunktionären muss es schwerfallen, bei einem Fifa-Kongress wie dem jüngsten im Koralleninselstaat all die bedeutenden Themen bei sich zu behalten: Wann ist der Empfang beim Inselchef? Welchen Sponsor haue ich an? Ist der Fahrer pünktlich? Da rutschen Kleinigkeiten gern mal durch, wie die Verabschiedung dieses Regel-Antrags aus Algerien: Dass fortan Spieler das Nationalteam wechseln dürfen, die älter als 21 sind, aber noch kein Pflichtspiel für ein Land absolviert haben. Grandiose Idee, haben viele Vertreter Europas gedacht, und den Antrag leutselig unterstützt. Den Kater hat jetzt die Uefa.

Als erster deutscher Kicker nutzt der Schalker Jermaine Jones das aufgeweichte Statut. Er beendet die DFB-Karriere nach drei Länderspielen und wird Fußballamerikaner. Gut nachvollziehbar aus seiner Sicht: So ist die WM-Teilnahme 2010 fast geritzt. Dass der 27-Jährige den Anlass nutzt, um via Times-Interview ein wenig nachzutreten gegen die Deutschen, weil die Tattoo-Träger wie ihn für schlechte Menschen hielten, passt angesichts von fünf Millionen tätowierten Bundesbürgern ins intellektuelle Gesamtgefüge, das die Fußballwelt hier offenbart.

Der DFB zürnt, die Uefa wehklagt und Sepp Blatters Fifa ignoriert den Bock, den sie da wieder geschossen hat. Sie kämpft zurzeit ja gegen die EU an, um ihre 6-plus-5-Regel durchzuboxen, nach der ein Klub zu Spielbeginn mindestens sechs Spieler aufstellen muss, die auch fürs Nationalteam des jeweiligen Landes spielberechtigt wären. Dies soll die Jugendarbeit fördern und die enthemmte Einkaufsmentalität bremsen.

Mitten hinein ins verzehrende Geschacher platzt nun die neue Regel, die genau das Gegenteil fördert: Wer wann und für wen kickt, ist nun doch alles wieder nur eine Geldfrage. Die in vielen Weltregionen beliebte Passfälscherei wird zu neuer Blüte geführt, und dass Talente (mit jäh entdeckten ausländischen Ahnen) künftig enormen monetären Verlockungen ausgesetzt sein werden, ergibt sich aus der Sportrealität. Die erste Scheichtums-Auswahl aus gut bezahlten, flott eingebürgerten Afro- und Latinokickern bei einer WM rückt da in greifbare Nähe - dem Bahamas-Kongress sei dank.

Ob das alles auch gut durchdacht ist? Das Mitwirken in der Olympia-Auswahl eines Landes zum Beispiel zählt bisher nicht zum Pflichtspielbereich. Das kann zu der bizarren Situation führen, dass einer Medaillen für eine Nation erringt, gegen die er bei der nächsten WM dann antritt. Darauf gleich noch eine Pinacolada!

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SZ vom 16.06.2009/jüsc
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