Süddeutsche Zeitung

Fußball-EM:Gummiwand der Herzen

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Die Schweizer Fußballfans fanden Breel Embolo mal unglaublich aufregend. Dann nahm seine Karriere mehr Kurven als er auf dem Feld. Beim 1:1 gegen Wales meldet sich der Stürmer mit einem Treffer zurück, der typisch ist für all die in ihn gesetzten Erwartungen.

Von Florian Raz, Baku

Er reißt, er zerrt, er klammert. Connor Roberts legt die ganze Kraft seiner 1,73 Meter in diesen Zweikampf. Aber er kann diesen Fels nicht bewegen, der sich da auf der Linie des Fünfmeterraums aufgetürmt hat. Unverrückbar hält Breel Embolo, 1,85 Meter, seinen Stand. Und während der Waliser Roberts immer verzweifelter rüttelt und schüttelt, findet der Schweizer Embolo die Ruhe, den heranfliegenden Ball im Auge zu behalten.

Kraft, Einsatz, Zweikampfhärte - es sind Wörter, die vor der Startpartie der Schweiz vor allem mit dem Gegner aus Wales in Verbindung gebracht wurden. Aber in dieser 49. Minute passen sie nur zu Embolo, der mit dem Kopf sein erstes Tor bei einem großen Fußball-Turnier erzielt.

Schon unmittelbar vor seinem Treffer ist der Stürmer davongezogen und hat sich mit scheinbarer Mühelosigkeit zwischen zwei Verteidigern hindurchgetankt. Und in diesem Moment wird plötzlich wieder klar, warum die ach so nüchterne Schweiz mal ziemlich verknallt war in diesen Breel Embolo mit seinen raumgreifenden Schritten, mit seinem Antritt und seinem Körper, an dem die Gegner einfach abprallen wie an einer Gummimauer.

Gerade eben 17 Jahre alt ist Embolo, als er im März 2014 beim FC Basel sein erstes Spiel bei den Profis bestreitet. Er wird gegen Aarau eingewechselt - und trifft. Er ist nur ein halbes Jahr älter, als er auch gegen Ludogorez Rasgrad ein Tor erzielt. Weil es eine Partie der Champions League ist, geht die Nachricht um die Welt. Die englischen Medien wollen am nächsten Morgen wissen, was der Teenager mit seinem Ruhm anfängt. Und Embolo? Sitzt zur selben Zeit in der Schule und lernt für seinen Abschluss.

Es ist diese Mischung aus Außergewöhnlichem und Selbstverständlichem, die die Leute in dieser Zeit so zu ihm hinzieht. Neben dem Feld ist er der nette Junge von nebenan. Im Match aber ist er völlig unberechenbar. Er tut Dinge, die in kein Schema passen, und verzaubert damit die Zuschauer.

Der Stempel "Rekordtransfer" droht ihn zu erdrücken

Es gibt Spieler, die regen die Fantasie an. Embolo gehört zu ihnen. Weil er jung ist, frisch, unverbraucht. Weil er voller Freude spielt, unbekümmert, wo andere taktieren. Und wohl auch, weil er ein Lächeln hat, das Steine schmelzen lässt. Aber der Profifußball ist keine Welt, die Menschen unangetastet lässt. Irgendwann verliert jeder seine Unbeschwertheit.

Als Embolo mit der Schweiz zur EM 2016 nach Frankreich reist, ist die Aufregung doppelt groß. Die Schweizer Fans singen seinen Namen, weil sie große Taten erwarten. Gleichzeitig steht an jedem Tag der Name eines anderen Großclubs in den Zeitungen, zu dem er wechseln soll. Embolos Karriere, die scheinbar geradewegs nach oben zu führen scheint, nimmt plötzlich Kurven. Er könnte nach Leipzig, schaut sich das Trainingsgelände an und ist begeistert. Leipzig ist bekannt für seine hervorragende Ausbildung junger Offensivspieler. Aber am Ende wechselt er doch zum traditionellen Chaosklub Schalke 04. Er erlebt verlorene Jahre mit vielen Verletzungen. Erdrückt vom Stempel "Rekordtransfer", mit dem er vom ersten Tag an leben muss. Rund 25 Millionen Franken haben die Schalker an Basel bezahlt, nach aktuellem Kurs rund 23 Millionen Euro.

Der Wechsel zu Mönchengladbach 2019 ist eine Erlösung. Embolo macht endlich wieder Fortschritte. Lernt, seine Energie zu kanalisieren, seinen beeindruckenden Körper gezielter einzusetzen. Viele Tore schießt er zwar nicht. Aber er ermöglicht sie. Mit seinen Läufen, seinen Dribblings. Und mit seinem Einsatz gegen den Ball. Aber das sind nicht die Aktionen, deretwegen einem die Herzen der Fans zufliegen. In der Schweiz werden inzwischen eher die verstolperten Bälle, die Fehlpässe und vergebenen Chancen im Nationaltrikot registriert. Und natürlich, dass Embolo während der Pandemie von der Polizei erwischt wird, weil er in unmittelbarer Nähe einer illegalen Party angetroffen wird. Schnell macht die spektakuläre Geschichte von einer angeblichen Flucht übers Hausdach die Runde, Gladbach verdonnert den Stürmer zu einer "empfindlichen" Geldbuße, wie der Klub mitteilt.

Und dann läuft er an diesem Samstag in Baku in dieser 49. Minute los, mitten durch die Waliser Abwehr, als gäbe es weder diesen Connor Roberts, der sich mit beiden Armen an ihn klammert, noch den Druck der öffentlichen Erwartung. Und auf der Tribüne kommen Erinnerungen hoch. Und die plötzliche Erkenntnis: Breel Embolo ist noch immer erst 24 Jahre alt. Noch hat er Zeit, um Fantasien zu beflügeln. Das Lächeln ist zurück.

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