Süddeutsche Zeitung

Italiens Fußballnationalmannschaft:Schon wieder das mächtige Nordmazedonien

Lesezeit: 3 min

Der alte Nationaltrainer ist in die Wüste geflüchtet, der neue kämpft mit alten Problemen: Im ersten Spiel unter Luciano Spalletti schafft der Europameister nur ein 1:1 gegen den Angstgegner - und steht wieder unter Druck.

Von Oliver Meiler

"Italietta", kleines Italien. Das Fazit der Gazzetta dello Sport ist prosaisch, eine Anmutung von Kapitulation. Es bedurfte schon der stoischen Version von Luciano Spalletti, des neuen Commissario tecnico, wie die Italiener ihren Nationaltrainer nennen, damit die Stimmung nicht schon nach dem Einstand ins Unwägbare abstürzte. "Es bleibt Arbeit zu tun", sagte Spalletti nach dem Unentschieden in Skopje, und das war eine kolossale Untertreibung.

Italien hat nun also wieder nicht gewinnen können gegen seinen Angstgegner, gegen Nordmazedonien, das mächtige Nordmazedonien: 1:1 (0:0). Die Italiener beklagten sich nur halblaut über den bedauernswerten Zustand des Rasens in Skopje, obschon das durchaus berechtigt gewesen wäre: ein Acker nach der Kartoffelernte. Aber daran lag es nicht.

Steil, steil, steil - noch entfachen Spalettis Mittel keine Wirkung: Die Neun fehlt

Die italienische Fußball-Nationalmannschaft durchmisst gerade eine der düstersten Phasen ihrer Geschichte, da sind sich alle einig. Die Qualifikation für die Europameisterschaften in Deutschland hängt lottrig im Wind - vier Punkte aus drei Spielen, Platz 3 in der Gruppe C hinter England, der Ukraine, gleichauf mit, nun ja, Nordmazedonien. Italien ist immerhin Europameister, aktueller Titelhalter, auch wenn jenes spezielle Sommerfeeling 2021 schon lange verweht ist, schon im Herbst 2021. In Italien fragt man sich schon seit geraumer Zeit, ob der Triumph von Wembley nicht einer einzigartigen, schier unwahrscheinlich günstigen Anordnung der Sterne geschuldet war - einem Wunder.

1:1, das ist eine Steigerung zur Leistung vor einem Jahr, als die Nordmazedonier die Italiener mit einem Sieg in Palermo an einer Reise zur Fußball-WM in Katar gehindert hatten. Zu Beginn des Spiels in Skopje glaubte man, bereits die Handschrift von Spalletti zu erkennen. Jeder zweite Ball war eine Vertikalisierung: steil, steil, steil. Die beiden Außenverteidiger standen hoch, drängten ständig ins Zentrum und schoben die Herrschaften im Mittelfeld ganz in die Spitze, wie sie das in Spallettis Vereinsmannschaften über die Jahre hinweg immer schon taten. So sah das ein bisschen aus, wie ein Offensivwirbel, wenigstens im Ansatz. Aber natürlich lebt dieses Spiel von Automatismen, von blindem Verständnis unter den Spielern. Mit Napoli, dem italienischen Meister, gelang Spalletti die perfekte Abstimmung.

Nun, nach 25 Minuten verwelkte der erste Eindruck. Der Sturm funktionierte nicht. Und auch wenn Ciro Immobile später auch das Tor der Italiener erzielen sollte (47. Minute) mit der Kapitänsbinde des Dienstältesten am Arm, hat Italien ein nunmehr chronisches Problem auf der Neun. Im Mittelfeld war nur Nicolò Barella von Inter Mailand, ein Anführer im Werden, wie geschaffen für Spallettis Überfallspiel. Die zentrale Abwehr? Man musste Giorgio Chiellini und Leonardo Bonucci nicht mögen: Aber was standen die gut, fast immer, selbst dann noch, als das Alter seinen Tribut einforderte - sie kultivierten den legendären Abwehrmythos der Italiener.

"Die sind nicht sehr gut, aber sie schaffen es, uns zu verwirren."

Von Gigio Donnarumma sagt man seit Jahren, er sei ein Torwartwunder, und manchmal ist er das auch, zuletzt aber eher selten. Den schönen Freistoß von Enis Bardhi (81. Minute) hätte er parieren können. Sollen. Der war zwar recht hart und gezielt geschossen, aber mit dem Innenrist, der Ball war eine Weile in der Luft Richtung erwartbarer Ecke.

Am Ende war das Unentschieden ein gerechtes Ergebnis. Die Italiener hatten nach ihrem Führungstor aufgehört zu spielen, sie sackten einfach in sich zusammen, ohne Not. Der Corriere della Sera erinnert daran, dass die Nordmazedonier im Ranking der Fifa sechzig Plätze hinter Italien liegen. "Die sind nicht sehr gut, aber sie schaffen es, uns zu verwirren." Das gelingt im Moment allerdings fast jedem Gegner, eine Parallele zu Deutschland.

Natürlich war es eine Illusion, dass Spalletti in nur fünf Tagen das Spiel der Azzurri resetten können würde. Fünf Tage im Trainingszentrum von Coverciano, das war die ganze Zeit, die er mit seinen Spielern hatte, nachdem sein Vorgänger Roberto Mancini Italien so kurz vor den wichtigen Qualifikationsspielen einfach in der Wüste stehen ließ und für sehr, sehr viel Geld, 25 Millionen Euro Jahresgehalt plus Bonus, nach Saudi-Arabien wechselte. Die Polemik darüber hallt noch immer nach, der einst gefeierte "Mancio" ist tief gefallen.

Fünf Tage, kein Testspiel, keine Hauptprobe. Das ist gerade mal genug Zeit, um ein bisschen mit den Spielern zu reden. Die Italiener sollten sich wieder in ihre Nationalmannschaft verlieben können, sagte Spalletti den Medien vor der Begegnung in Skopje, in deren Spielfreude, deren Fantasie. Die Nationalmannschaft sei schließlich das Team aller Italiener. Ein Sieg hätte geholfen. Nun muss Italien am Dienstag im Mailänder Stadion San Siro gegen die Ukraine gewinnen, damit die nicht uneinholbar wegzieht in der Tabelle. Und Druck ist kein Freund der Italiener, wenigstens in jüngerer Vergangenheit nicht, die Angst steckt wie ein Stachel in der Psyche.

Auch das wird Spalletti in ein paar Tagen nicht ändern können. Man wird sich daran gewöhnen müssen, dass der Toskaner nicht im Trainingsanzug am Spielfeldrand steht, sondern im dunklen Anzug der FIGC, des italienischen Fußballverbands. Er wirkt darin noch etwas deplatziert, beamtenhaft. Nicht wie der Derwisch aus Zeiten, da er Vereine coachte. Ob er wohl die Kraft hat, diese Italietta aufzurichten? Fachlich ist die Generation, die ihm da anvertraut wurde, eben höchstens medioker.

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