Süddeutsche Zeitung

French Open:Paris raunt für Neun-Finger-Nadal

Lesezeit: 4 min

Von Gerald Kleffmann, Paris

Der Schluss war noch mal richtig spannend. Weniger wegen des Spielstands. Eher aufgrund einer ungewöhnlichen Geschichte an Rafael Nadals linker Schlaghand. Mitte des dritten Satzes konnte er plötzlich den Mittelfinger nicht mehr bewegen. Er musste sich behandeln lassen. Und mehrmals wurde er massiert. Aber er zog dennoch davon, auf 5:2. Nun war die Frage: Welchen Matchball würde er verwandeln? 40:0 führte er bei eigenem Aufschlag. Die Partie war gelaufen, das war klar, nach einem spannenden ersten Satz war es dann doch eine klare Angelegenheit. Dominic Thiem bäumte sich noch einmal auf, glich aus, 40:40. Dann Matchball Nummer vier. Nadals Rückhand landete im Aus. Dann Matchball Nummer fünf. Nun landete ein Ball Thiems hinter der Grundlinie, 6:4, 6:3, 6:2, und da ließ Nadal, wie Simona Halep am Samstag an fast der gleichen Stelle, den Schläger fallen.

Reckte die Hände hoch. Auch mit neun Fingern ist dieser Spanier, 32, aus Mallorca, nicht zu besiegen, selbst von dem vielleicht gerade besten Spieler auf Sand - zumindest dem besten außer Nadal. Thiem, 24, saß kurz darauf mit glasigem Blick auf seinem Stuhl. "Er hatte zwei tolle Wochen", sagte Nadal über seinen Finalgegner, "er ist ein Freund, einer, den die Tour braucht." Aber dann kam er wieder zum Kern dieses Ereignisses zurück: "Ich kann meine Gefühle nicht beschreiben. Das ist nicht ein Traum, elf Mal zu gewinnen. Das ist ja nicht vorstellbar."

Nein, ist es nicht. Und doch ist es so. Nadal hat nach 2005, 2006, 2007, 2008, 2010, 2011, 2012, 2013, 2014, 2017 auch 2018 gesiegt. Ein Rekord, der länger und länger wird, für die Ewigkeit ist er eh schon.

Als ihm applaudiert wurde bei der Siegerehrung, weinte er.

Die einzige Sorge galt dem Wetter

Der Sonntag war wie geschaffen für ein großes Finale. Die lacostig gekleidete Pariser Gesellschaft pilgerte früh zur Anlage. Noch ein Häppchen hier, ein Gläschen da, man ließ es sich gut gehen. Der französische Verband rahmte dieses Endspiel entsprechend bedeutungsvoll ein. Anlässlich des 100. Todestages des Kampfpiloten Roland Garros, nach dem dieses Grand-Slam-Turnier benannt ist, flog vor dem Match eine Militärflugzeugstaffel über die Arena, sprühte die Flaggenfarben Frankreichs in den Himmel, und natürlich ertönte bald die Hymne, die Marseillaise, ohne die der Franzose nicht aus dem Haus geht. Die einzige Sorge galt dem Wetter: Es war diesig, schwül, bewölkt. Aber noch hielt es. Um kurz nach 15 Uhr wurden dann die Duellanten auf den Platz gerufen, und es ist immer wieder ein Spektakel, wenn der Stadionsprecher jedes einzelne Jahr benennt, in dem Nadal die French Open gewann: Das zieht sich über zehn Jahre hin. Die Zuschauer raunen dazu immer, auch diesmal.

Für Thiem galt es, sofort zu zeigen, dass er bereit ist, seinen Vorsatz umzusetzen: "Die einzige Chance ist, die Rollen umzudrehen und selber in der Offensive zu sein", das hatte er gesagt, und: "Sobald er dich hat, lässt er dich nie mehr los, das ist in jedem einzelnen Ballwechsel so." Dass er Nadal als einer der ganz wenigen besiegen kann, hat Thiem bewiesen. Er war sogar der Einzige, der ihn vor Paris in den vergangenen zwei Jahren jeweils einmal auf Sand bezwingen konnte. "Er hat die Power", betonte Nadal vorab. Kurz nachdem die früheren Champions Adriano Panatta, Nicola Pietrangeli, Ken Rosewell und Manolo Santana begrüßt wurden und sich Jean-Paul Belmondo und der Basketballer Pau Gasol gesetzt hatten, begann das Kräftemessen.

Nach einem Aufschlagverlust zum 0:2 schaffte Thiem umgehend das Re-Break, und jetzt lief die Partie so ab, wie es zu erwarten war. Thiem spielte mit vielen Winkeln, Nadal zeigte überraschende Fehler. Einmal schlug ein zweiter Aufschlag von ihm vor der eigenen Netzseite auf. Intensiv waren die Ballwechsel aber, das Stöhnen beider sehr laut. Sie transportierten ihren Service bis zur 5:4-Führung Nadals. Dann stach der Spanier zu. So wie gegen Juan Martín del Potro im Halbfinale, den er im ersten Satz auf die chronologisch gleiche Weise geknackt hatte. Break, 6:4, das war der Tiefschlag, den Thiem vermeiden wollte. Die Bilanz Nadals im Best of 5-Format, wenn er den ersten Satz auf Sand gewonnen hat, lautet: 95:0. Nun wuchs der Berg, den Thiem für sein Comeback erklimmen musste, auf Anden-Höhe an. Mit Sauerstoffflasche.

Doch die Herausforderung wurde nicht geringer. Nadal zog mit dem nächsten Break davon, 2:0, 3:1, 4:2. Kleine Chancen, mal ein 30:0 bei Aufschlag Nadal, mal ein Breakball bei 2:4, verpufften rasch. Einmal gelang Thiem ein gefühlvoller Stopp. Nadal konterte mit zwei Stopps. Er selbst kassierte indes eine Verwarnung für sein bekannt ewig langes Zupfen und Zögern vor dem Aufschlag. 6:4, 6:3. Nun hatte Thiem einen Himalaja-Gipfel vor sich. Ohne Sauerstoffflasche. In Madrid hatte er Nadal im Mai besiegt. "Er ist hier eine Klasse stärker", sagte Thiem in Paris.

Mit neun Fingern mühte er sich

Im dritten Satz spulte Nadal sein Stakkato herunter, gleich zu Beginn hat er vier Breakchancen, im zweiten Aufschlagspiel Thiems luchste er ihm das Spiel ab. Dann aber doch Dramatik: "Ich kann den Finger nicht bewegen", rief er zum Stuhlschiedsrichter, bat um Entschuldigung. Es sah harmlos aus. Aber er musste sich an der linken Schlaghand, an der jeder seiner Finger verpflastert war, tatsächlich plötzlich behandeln lassen und hatte trotzdem weiter Probleme. Mit neun Fingern mühte er sich jetzt. Beim nächsten Seitenwechsel, bei 3:2, wurde ihm der Unterarm massiert. Das deutete auf einen Krampf hin. Eine eigenartige Stimmung herrschte. Tennisprofis nehmen ja manchmal taktisch bedingt Verletzungspausen. Das ist kein Geheimnis.

Aber das waren keine Mätzchen. Nadals Finger schien sich aber zu entkrampfen, zu stabilisieren. Dafür war nun Thiem von der Rolle. 4:2. Ein zweites Break für Nadal. 5:2. Erneut Massagen. Und dann folgte das letzte Spiel dieses Turniers.

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Quelle:
SZ vom 11.06.2018
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