Süddeutsche Zeitung

Formel 1:Sebastian Vettel - Ein ungeahnter Revoluzzer

Lesezeit: 3 min

Von Elmar Brümmer, Shanghai/München

Formel-1-Rennfahrer als mündige Athleten wahrzunehmen, wird einem - außerhalb des Cockpits - nicht immer leicht gemacht. Da wird politisch korrekt immer dem ganzen Rennstall gedankt, dem Hersteller der Reifen, und manchmal auch noch dem Schmierstofflieferanten. Die aufgesagte Dankbarkeit ist erlernt, denn von Kindesbeinen an kommt im Motorsport nur der weiter, der Talent und Geld hat, und daher meistens Sponsoren braucht.

Die Emanzipation kommt, wenn überhaupt, meistens erst später in der Karriere. Das war bei Lewis Hamilton so, der erst seit seinem Wechsel von McLaren zu Mercedes so richtig tut und lässt, was er will. Sebastian Vettel durfte bei Red Bull zwar immer frei Schnauze reden, aber launige Sätze gab es meistens nur zu sportlichen oder technischen Themen. Das hat sich 2014 leicht verändert, als Vettel nach vier Titeln mit dem neuen Hybrid-Reglement haderte und auch Red Bull Racing mit dem Misserfolg nicht klar kam.

Deutlich verstärkt hat sich das Pochen auf die eigene Meinung nun bei Ferrari. Mit dem Wechsel nach Italien hat der Heppenheimer seine Stellung unter den Top-Piloten noch ausgebaut, und obwohl sich bei der Scuderia alle der Marke unterzuordnen haben, toleriert man bei Ausnahmefahrern auch verbale Solo-Fahrten.

Wohl formulierter Brief sorgt für Aufsehen

Deshalb kam von Ferrari, als ältestes Formel-1-Team auch traditionell der Rennstall, der den lukrativen Doppelpass mit dem Establishment der Funktionäre spielt, auch keine Kritik, als die Fahrergewerkschaft GPDA im Streit um das Qualifikationsreglement mit einem offenen Brief heftige Systemkritik betrieb. Vettel ist einer der Direktoren der Organisation, die sich seit Michael Schumachers Zeiten als Vorsitzender intensiv um die Sicherheit kümmert.

Solidarität in politischen Fragen gab es selten, da sprachen schon die unterschiedlichen Interessen der jeweiligen Arbeitgeber dagegen. Das ungewöhnliche und wohl formulierte Schreiben ("Der Prozess der Entscheidungsfindung in diesem Sport ist überholt und schlecht strukturiert und verhindert damit Fortschritte") sorgte für viel Aufsehen, vor allem bei Formel-1-Vermarkter Bernie Ecclestone, der zusammen mit Automobilverbandspräsident Jean Todt für die meisten Querelen verantwortlich gemacht wird.

Jenseits des Unverbindlichen hatte Sebastian Vettel wie Hamilton schon immer einen eigenen Kopf, und den scheint er jetzt, wo viel über die Krise der Königsklasse geredet wird, durchzusetzen. Der 28-Jährige hatte schon vor dem gemeinsamen Aufstand immer wieder das Wörtchen "Quark" benutzt, wenn es um die Regeln und ihre Macher ging.

Die klare Position der Chauffeure hat dazu beigetragen, dass beim Großen Preis von China an diesem Wochenende die Startaufstellung wieder nach dem herkömmlichen System ermittelt wurde. Aber damit sind nicht alle Probleme gelöst, und wenn eine Revolution erst mal in die Gänge kommt, dann wird auch die Lust geweckt, gleich noch mehr zu verändern. Vettel reifte als einer der Direktoren der GPDA plötzlich zum Systemkritiker.

Bernie Ecclestone hat sich wie erwartet gewehrt. Der Brite, der sonst den Humor des Deutschen durchaus schätzt und leidenschaftlich gern mit ihm Backgammon gespielt hat, war über Attacke alles andere als amüsiert. Er ließ wissen, dass er wenig von Demokratie hält und dass die Fahrer überhaupt nicht gefragt werden sollten, und in einem Interview stichelte er, dass Vettel ja keine Chance hätte, mit Ferrari Weltmeister zu werden.

Auch wenn das eine mit dem anderen wenig zu tun hat, zeigt es die Empfindlichkeiten und Mechanismen der Branche auf. Prompt titelt der Sport-Informationsdienst: "Chefkritiker Vettel muss in China auch auf der Strecke liefern." In der Qualifikation von Shanghai belegte er nach einer nicht optimalen Runde Platz vier, hinter seinem Teamkollegen Kimi Räikkönen (siehe zweiten Text).

Mit einem gemeinsamen Dinner konterten die Formel-1-Piloten zum Auftakt des Rennwochenendes in Shanghai Ecclestones Behauptung, dass die Fahrer ihr Essen nicht selbst bezahlen würden. In dem italienischen Lokal wurden am Ende demonstrativ 18 einzelne Rechnungen verlangt. Und weil der wütende Zampano die Rennfahrer auch als "Windbeutel" bezeichnet hatte, wurde via Twitter ein Schnappschuss mit dem Hashtag "Windbags United" verbreitet - weit vorn im Bild auch Sebastian Vettel.

"Der Fehler ist doch, dass nicht über Fehler geredet wird"

Von einer konspirativen Sitzung wollte hinterher aber keiner etwas wissen. Dafür legte der Deutsche anderntags nach, als er sagte, er denke gar nicht daran, zurückzustecken: "Es läuft nicht rund in der Formel 1. Wir wollen, dass es nach vorne geht. Jeder sieht, dass es dem Sport besser gehen könnte. Der Fehler in der Formel 1 ist doch, dass man nicht über Fehler spricht."

Der Konfrontationskurs richtet sich nicht persönlich gegen Ecclestone: "Was Bernie sagt, nimmt keiner von uns so richtig ernst. Er ist dafür bekannt, gerne mal einen Spruch auf den Lippen zu haben." Die Fahrer wollten nicht die Regeln bestimmen, aber seiner Meinung nach würde es dem Sport helfen, wenn sie gehört würden. Denn: "Am Ende fahren wir die Autos, und wir wissen am besten, was wir brauchen, um es noch aufregender zu machen." Die Aufregung neben der Strecke ist jedenfalls schon da, und auch die nötige Aufmerksamkeit. Fehlt nur noch der Erfolg.

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Quelle:
SZ vom 17.04.2016
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