Süddeutsche Zeitung

Formel 1:Rosberg fährt "in einer eigenen Welt" - und ist nun WM-Favorit

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Der deutsche Mercedes-Pilot hat einen Lauf. Sein Teamkollege Hamilton verliert den Anschluss und bekommt erstmals die Anspruchshaltung des Formel-1-Teams zu spüren.

Von René Hofmann, Shanghai/München

In der Formel 1 wird viel geredet. Und manchmal ist es wie in der Politik: Entscheidend ist nicht, was gesagt wird. Sondern was oder wer unerwähnt bleibt.

Nach dem Großen Preis von China, dem dritten Rennen der Formel-1-Saison 2016, bei dem Nico Rosberg seinen dritten souveränen Sieg einfuhr, wurde Niki Lauda vom deutschen Pay-TV-Sender Sky befragt. Lauda ist nicht nur dreimaliger Weltmeister und somit ewiger Experte. Er ist auch Aufsichtsratschef des Mercedes-Formel-1-Teams. Und er ist ein großer Fan von Lewis Hamilton. Lauda hat Hamilton zu Mercedes gelotst, was erklärt, wieso sein Lob für den 31-Jährigen oft besonders üppig ausfiel. Nach dem Gastspiel in Shanghai überschüttete Lauda nun aber Hamiltons größten Gegenspieler mit Lorbeeren: dessen Teamkollegen Nico Rosberg.

"Außergewöhnlich", "fehlerfrei", "weltmeisterschaftlich", schwelgte Lauda. Hamilton? Blieb unerwähnt. Etliche Sätze, die Lauda zu Rosberg einfielen, ließen sich aber durchaus als indirekte Botschaft an den Titelverteidiger lesen. "Er macht alles richtig", lobte Lauda also Rosberg, "er geht die Sache motiviert und mit der richtigen Ruhe an." Vor allem aber: "Er stört sich nicht an irgendwelchen Inputs." Wer mag, kann daraus den Umkehrschluss ziehen: Für Hamilton, den Champion 2014 und 2015, gilt das im Moment vielleicht nicht.

Triumph in Melbourne/Australien, Triumph in Sakhir/Bahrain, jetzt noch ein Triumph in Shanghai/China: Besser hätte die Saison für den 30 Jahre alten Rosberg sportlich nicht beginnen können.

"Verrückt", "lebensmüde": Sebastian Vettel belegt Rang zwei und schimpft wild

Auf dem Shanghai International Circuit betrug sein Vorsprung auf den Zweitplatzierten Sebastian Vettel am Ende mehr als 35 Sekunden, so weit war Rosberg in diesem Jahr sonst noch nie enteilt gewesen. Seine Dominanz war erdrückend. Dass er den Spurt von der Startampel bis zur ersten Kurve gegen Daniel Ricciardo verlor, änderte daran nichts. Bereits in der zweiten Runde passierte Rosberg den Australier im Red Bull schon wieder mühelos.

Schaut in mein Handy! Nico Rosberg nach dem Triumph in Shanghai beim Selfie mit seiner Mechaniker-Crew.

Dichter Verkehr in Shanghai: Daniel Ricciardo im Red Bull (l.) schiebt sich beim Start an Nico Rosberg vorbei. Dahinter kracht es.

Sebastian Vettel touchiert gleich in der ersten Rechtskurve seinen Ferrari-Kollegen Kimi Räikkönen.

Und Lewis Hamilton, als Allerallerletzter ins Rennen gestartet, kollidiert mit Felipe Nasr. Trotz fünf Boxenstopps fährt er noch auf Rang sieben vor.

Während die Trümmer des Startunfalls eingesammelt werden, staucht die Safety-Car-Phase das Feld zusammen.

Mit ramponiertem Frontflügel rettet der viermalige Weltmeister Vettel am Ende Position zwei vor dem Russen Daniil Kwjat ins Ziel, Räikkönen wird Fünfter.

An der Spitze steuert Nico Rosberg ungefährdet dem dritten Saisonsieg entgegen.

Sprung nach vorne: Saisonübergreifend war es Rosbergs sechster Triumph in Serie. In der WM-Wertung liegt er 36 Punkte vor Hamilton.

Gesprächsbedarf auf dem Podium: Wie ein "Verrückter" sei Daniil Kwjat (M.) in die erste Kurve gestürmt, zürnte Sebastian Vettel am Funk.

"Nico war in seiner eigenen Welt", musste Sebastian Vettel anerkennen, der in der ersten Kurve seinem Teamkollegen Kimi Räikkönen in den Ferrari gefahren war, weil er über einen Angriff von Daniel Kwiat erschrocken war, der am Ende Rang drei belegte. Der Russe hatte auf der Innenbahn eine gewagte, aber letztlich zielführende Attacke gestartet, für die er sich von Vettel als "verrückt" und "lebensmüde" beschimpfen lassen musste. Der Red-Bull-Fahrer konterte kaltblütig: "Ich weiß gar nicht, was du hast. Das war Racing."

Hamilton und die Frauen, das war zuletzt ein Thema für die bunten Magazine

Ähnlich nüchtern gab sich der von Vettel als entrückt bezeichnete Rosberg. Noch nie habe er ein so gut ausbalanciertes Rennauto bewegt, ließ Rosberg nach der Wettfahrt wissen, bevor er einen ungewöhnlichen Gruß in die Heimat schickte. "Ich möchte diesen Sieg allen Frauen in meinem Leben widmen. Meiner Mutter, meiner Frau Vivian und meiner Tochter Alaïa", sprach er - und wer wollte, konnte auch darin eine versteckte Botschaft an den Rivalen sehen, der ihn in den vergangenen zwei Jahren zwei Mal bezwungen hat. Hamilton und die Frauen - das war zuletzt ein Thema, das den bunten Magazinen so manchen Input bescherte.

Seit Hamilton Ende Oktober des vergangenen Jahres seinen dritten WM-Titel einfuhr, stand er bei keinem Grand Prix mehr vor Rosberg. Saisonübergreifend summieren sich die Niederlagen inzwischen auf die stolze Summe von sechs. Mehr Triumphe, als Rosberg gerade aneinandergereiht hat, sind in der ganzen Formel-1-Geschichte nur drei Fahrern geglückt: Michael Schumacher (sieben/2004), Alberto Ascari (sieben/1952-1953) und Sebastian Vettel (neun/2013).

Noch nie hat ein Fahrer, der bei den ersten drei Rennen auf der höchsten Stufe des Siegertreppchens stand, den Titel am Ende des Jahres nicht gewonnen. Allerdings gab es auch noch nie eine so lange Saison, wie sie in diesem Jahr geplant ist. Bis Ende November sind noch weitere 18 Rennen anberaumt, das nächste am 1. Mai in Sotschi.

Erst zwei schlechte Starts, nun ein Crash in Kurve eins: Lewis Hamilton zeigt Nerven

Lewis Hamilton gab sich nach dem Tiefschlag alle Mühe, sich den Wirkungstreffer nicht anmerken zu lassen. "Es ist noch ein weiter Weg", sagte Hamilton über das WM-Rennen: "Ich will keine Energie verschwenden für etwas, das hinter mir liegt." Als Siebter hatte er gerade einmal sechs Punkte geerntet.

Die schlechte Ausbeute war einerseits erklärbar: Wegen eines Defektes am Energierückgewinnungs-System hatte Hamilton die Qualifikation nicht bestreiten können und das Rennen als Letzter aufnehmen müssen. Andererseits: War es wirklich so clever gewesen, sich in dieser Position so leidenschaftlich in die erste Kurve zu werfen, wo sich ein heftiges Kuddelmuddel auftat, aus dem Hamilton mit einem lädierten Auto herauskam, mit dem er über die Distanz selbst in den Duellen gegen die Rivalen von Red Bull und Ferrari chancenlos war? Vermutlich nicht.

Fahrer geben sich gern so cool, als seien sie Teil der Maschine

Nach den schlechten Starts in Australien und in Bahrain wollte Hamilton aber offenbar beweisen, dass er auf den ersten Metern wirklich keinen Zentimeter mehr verschenken will. Wahrscheinlich ist es so: Der Druck steigt. Und unter Druck steigt die Fehlerquote. Auch bei Hamilton.

Die Fahrer geben sich gerne so cool, als seien sie ein Teil der komplexen Maschinen, in denen sie sitzen. Aber das ist bloß Show. In Wahrheit sitzen da Sensibelchen an den Lenkrädern, Hochleistungs-Athleten, die vor allem durch eines aus der Balance gebracht werden - wenn sie den Glauben an sich selbst verlieren. Um das zu verhindern, hat Mercedes-Sportchef Toto Wolff in der Vergangenheit Rosberg oft demonstrativ gelobt. In Shanghai spendete er Hamilton auf diese Art Trost: "Ich weiß, dass Lewis mental stark ist", sagte Wolff.

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Quelle:
SZ vom 18.04.2016
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