Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Der ziemlich andere Hansi Flick

Lesezeit: 4 min

Von Christof Kneer, München

Natürlich mag auch Hansi Flick Anekdoten, jeder Fußballer mag das. Die Anekdoten, die Flick erzählt, unterscheiden sich von den Anekdoten anderer Fußballer aber dadurch, dass er nicht zwingend der Held der Geschichte sein muss. "Es gibt den schönen Spruch: Herz schlägt Talent, der trifft auf mich voll zu", sagt Hansi Flick etwa, wenn er über seine fußballerischen Qualitäten spricht, die ihn immerhin mal für fünf Jahre zum FC Bayern geführt haben. In diesen fünf Jahren stand dieser bescheidene Mensch übrigens auch mal machtlos auf der Torlinie und ließ einen Hackenball von Rabah Madjer passieren. 1987 war das, die Bayern verloren das Landesmeister-Finale gegen Porto 1:2. Ob er noch mal erzählen könne, wie das war mit Madjers Tor, wurde Flick mal gefragt, und er antwortete: Ach, bitte nicht so viel Vergangenheit. Er lebe in der Gegenwart.

Wenn Fußballer ein Plädoyer fürs Hier und Jetzt halten, haben sie meistens entweder keine Lust auf eine gescheite Antwort, oder sie weichen aus, oder beides. Und natürlich musste auch Flick am Dienstag ein bisschen die Flucht antreten, als er vor dem Champions-League-Auftritt gegen Olympiakos Piräus (Mittwoch, 18.55 Uhr) erstmals als Interimschef des FC Bayern vor den Reportern saß. Alles, was komme, interessiere ihn "null", antwortete Flick also auf die Reporterfrage, ob er sich auch ein längeres Engagement als Trainer des FC Bayern vorstellen könne. Er sei "keiner, der in Vergangenheit oder Zukunft lebt", die Gegenwart sei für ihn entscheidend - Floskeln, klar, aber eben auch: Flick. Er tickt so. Als bekennender Pragmatiker will er sich weder ablenken noch das freundliche Gemüt ruinieren lassen von etwas, was er nicht oder nur wenig beeinflussen kann.

Trotzdem kann man keineswegs behaupten, dass Hansi Flick im Moment nur ans nächste Spiel denkt, wie es die Mutter oder womöglich sogar Großmutter aller Floskeln nahelegt. Hansi Flick denkt ans nächste Spiel und an das danach.

Ein Bekenntnis zu Martínez und Müller

Für die Spiele gegen Piräus und Dortmund hat er jetzt erst mal den Auftrag der Vereinsführung erhalten, und so hat Flick beschlossen, beide Partien im Paket zu coachen. Im aktuellen Fall bedeutet das offenbar, dass er im ersten Spiel eine Elf bringt, die sich fürs zweite Spiel schon mal einspielen darf. Javier Martinez und Thomas Müller würden spielen, das könne er verraten, sagte Flick und meinte: in beiden Partien.

Flick weiß, was jeder neue Trainer weiß, der ein Team im laufenden Betrieb übernimmt: dass er keine Zeit hat. So wird Flick keinesfalls versuchen, die Welt oder gar den Fußball neu zu erfinden, er wird den Spielern zu vermitteln versuchen, was sie zuletzt vermisst haben: Stabilität, Sicherheit und ein gutes Gefühl. Deshalb das Bekenntnis zum seriösen Martinez, den er in die Abwehr stellen wird, deshalb auch Müller, ein Erfolgsgarant aus guten, alten Tagen - kleine Handgriffe, die ihm nebenbei noch die Unterstützung der Kurve und sowieso von Uli Hoeneß einbringen.

"Ein tolles Training" habe er mit der Mannschaft absolviert, erzählte Flick, er sei "sehr, sehr zufrieden" mit den Spielern, überhaupt hätte ihn die Qualität der Mannschaft schon in seiner Zeit als Assistent fasziniert. Auch solche Sätze gehören zum Soforthilfeprogramm eines schnellen Eingreifhansi, in diesem Fall sowieso: Intern, dort aber recht vernehmlich, haben sich die Spieler zuletzt über die Hier-die-Spieler-und-dort-der-Trainer-Rhetorik von Niko Kovac beklagt; mit Befremden registrierten die Profis, wie Kovac über individuelle Fehler der Spieler referierte. Flick hingegen gilt als Coach, "der einen guten Draht zu den Spielern haben" will, wie er sich am Dienstag versehentlich selbst lobte, aber natürlich weiß er auch, dass man als Assistent leichter der nette Onkel sein kann als in verantwortlicher Rolle. Am Dienstag saß aber ein Hansi Flick auf dem Podium, der sich erheblich von jenen übervorsichtigen Hansi Flicks unterschied, die als Jogi Löws Berufsassistenten viele Jahre auf den Podien der Welt saßen. Am Dienstag saß dort oben ein präsenter Coach, der zwar weiterhin den bewährten Teamplayer geben und den neuen, alten Assistenten Hermann Gerland auch gerne konsultieren wird - der neue Chef hat aber in aller Bescheidenheit schon auch gesagt, dass er jetzt die Verantwortung trage, und zwar "gerne und ohne Weiteres". Und er hat seine Spieler sehr demonstrativ in die Pflicht genommen, "jeder einzelne, nicht nur Manuel Neuer und Robert Lewandowski", müsse auf Weltklasse-Niveau spielen, sagte Flick zum Beispiel.

Es klingt immer noch seltsam, wenn Spieler "Hansi" zum Vorgesetzten sagen, man könne "den Hansi" nachher selber fragen, sagte Joshua Kimmich am Dienstag mal (in München sagen die Spieler sonst immer "Trainer" zum Trainer bzw. "Herr Heynckes"). Der Hansi ist aber offenbar entschlossen, das kleine "i" am Namensende durch ein großes "I" zu ersetzen. Sollte Flick die beiden Spiele souverän durchcoachen, stehen die Chancen nicht schlecht, dass die Bayern gemäß Hoeneß-Logik den Trend zum Friend machen und Flick erst mal weiter Chef sein lassen.

Parallel werden die Bosse die Optionen prüfen, sie werden über Ralf Rangnick debattieren und die Mitarbeitermassen, die ihn üblicherweise begleiten; sie werden überlegen, ob Arsène Wenger als Übergangstrainer Sinn ergeben könnte oder ob man sich an den jungen Xabi Alonso herantraut. Ein erfolgreicher Übergangstrainer Flick könnte ihnen aber helfen, auf die vertraglich gebundenen Thomas Tuchel (Paris) oder Erik ten Hag (Amsterdam) zu warten. Ten Hag hat den Bayern bereits freundliche Worte gewidmet, aber auch klargemacht, dass er nicht vor Sommer 2020 zur Verfügung stehe. Und Tuchel ließ ausrichten, er sei "nicht interessiert, weil ich Trainer in Paris bin". Was aber ein grundsätzliches Interesse nicht ausschließt, etwa für den Fall, dass er mal nicht mehr Trainer in Paris ist. Am Ende seines ersten Auftritts als Chef hat Hansi Flick noch bestätigt, dass Robert Lewandowski sich einem Eingriff an der Leiste unterziehen müsse, "dass es irgendwann mal gemacht werden muss, ist klar". Lewandowski werde sich aber "gut überlegen, ob er seinen Lauf jetzt unterbrechen soll". Sehr pragmatisch gedacht: Ein erfolgreicher Lewandowski erhöht die Chancen, dass auch der Trainer Flick erfolgreich ist.

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Quelle:
SZ vom 06.11.2019
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