Süddeutsche Zeitung

Finnbogason in Augsburg:"Ab jetzt beginnt meine Saison"

Lesezeit: 3 min

Von Sebastian Fischer

Alfred Finnbogason hat einmal erzählt, was er an seiner Heimat Island so schätzt. Wenn er dort ist, dann kann er die Zeit draußen verbringen, Golf spielen, unbehelligt. "Es stört dich keiner - nur wenn sie besoffen sind", sagte er und lachte. Augsburg, seine zweite Heimat, mag er aus ähnlichen Gründen: "Man hat seine Ruhe hier, es ist nicht so stressig." Doch mit der Ruhe ist das nun so eine Sache. Sie dürfte erst mal vorbei sein. Und er wird wenig dagegen einzuwenden haben.

Am Sonntag, nach dem 4:1 gegen Freiburg, sollte der Stürmer Finnbogason auf dem Rasen noch ein TV-Interview geben, es sah so aus, als hätte er durchaus die eine oder andere Geschichte zu erzählen. Doch Tausende Augsburger ließen ihn nicht in Ruhe, sie wollten mit ihm feiern. "Alfred", riefen sie und dehnten die Vokale, wie man es sonst nur von spanischen Fans kennt, die so ihre höchste Verehrung ausdrücken. "Alfred, Alfred, Alfred", es wurde immer lauter, schließlich gab er nach, der dreimalige Torschütze. Er ist nun wieder da. Und spielt gleich wieder die Hauptrolle.

Finnbogason könnte längt in einer Metropole wohnen

Finnbogason, 29, war im Sommer verletzt von der Weltmeisterschaft in Russland zurückgekehrt, mit einer Entzündung der Patellasehne im Knie. Er musste die Saisonvorbereitung aussetzen, stieg erst Anfang September ins Lauftraining ein, verpasste die ersten fünf Saisonspiele. Als der Stadionsprecher seinen Namen verlas, applaudierten selbst die Fans auf der Haupttribüne in freudiger Erwartung. Und dann zeigte er in seinem ersten Pflichtspiel seit Ende Juni, seit dem 1:2 Islands gegen Kroatien, gleich wieder all seine Qualitäten. Technische Finesse, als er den Ball mit der Hacke zum 2:0 in die lange Ecke verlängerte. Schlitzohrigkeit, als er im Strafraum den Kontakt suchte, um gefoult zu werden - und Nervenstärke, als er sich den Ball selbst nahm und den Strafstoß zum 3:1 verwandelte.

Schließlich den nicht erlernbaren Instinkt eines Mittelstürmers, als er eine Hereingabe in der richtigen Position erwartete, um aus kurzer Distanz auch noch das 4:1 zu erzielen. Am Ende trug er gar die Kapitänsbinde des ausgewechselten Daniel Baier. "Ich mag Freiburg", sagte Finnbogason später und grinste, schon in der vergangenen Saison hatte er dreimal gegen den Sportclub getroffen. Dessen Trainer Christian Streich stöhnte, als er in der Pressekonferenz die Vorzüge des gegnerischen Stürmers erklären sollte. Dann lobte er dessen Spielintelligenz.

Es ist so müßig wie verlockend, sich einmal vorzustellen, wo Alfred Finnbogason heute wäre, hätte er sich in den vergangenen Jahren nicht immer mal wieder Auszeiten nehmen müssen. Im Januar 2016 kam er von Real Sociedad San Sebastián nach Augsburg und schoss in 14 Rückrundenspielen sieben Tore. In der darauffolgenden Saison spielte er wegen einer Schambeinentzündung nur 13 Mal.

In der vergangenen Saison fehlte er fast die ganze Rückrunde wegen einer Wadenverletzung. Am Ende hatte er in 22 Spielen 12 Tore geschossen. Vergleicht man den Schnitt, war er der viertbeste Top-Stürmer, hinter Robert Lewandowski, Pierre-Emerick Aubameyang und Michy Batshuayi. Er könnte also womöglich längst in einer Fußball-Metropole wohnen, in der er selten seine Ruhe hätte. Auch im Sommer war sein Verbleib in Augsburg ja nicht sicher.

Bevor er zur WM flog, sprach Finnbogason über den Wunsch, in seiner Karriere noch mal im Europapokal zu spielen, so wie er es mit Augsburg 2016 erlebt hat. Dann erzielte er Islands erstes Tor überhaupt bei einer WM, das 1:1 gegen Argentinien, auf der Tribüne rauchte Diego Maradona Zigarre. Vielleicht war es Augsburgs Glück, dass sich Finnbogason nicht noch weiter in den Vordergrund spielte und Island nach der Vorrunde ausschied.

Schon vorher war er an der Patellasehne verletzt gewesen, hatte in Russland mit Schmerzen gespielt. Die WM hätte er auch "auf Krücken" absolviert, sagte er. Anders als bei so mancher Verletzung zuvor blieb er geduldig, um ganz gesund zu werden. "Es war die richtige Entscheidung, dass ich mich gut erhole", sagte er. Rückschläge in der Reha seien nicht leicht gewesen, aber: "Ich habe gelernt, wie man damit umgeht." Bereits im April traf er im ersten Spiel nach seiner Rückkehr. "Er brennt lichterloh", sagte Trainer Manuel Baum.

Der FCA scheint sich gerade fußballerisch weiterzuentwickeln, dafür war das Spiel gegen Freiburg das nächste Indiz. "Dass Automatismen besser greifen, dass Laufwege sitzen, dass jeder Spieler, der den Ball hat, weiß, auf was die Mitspieler warten, das ist sicher eine Weiterentwicklung", sagte Stefan Reuter. Doch selbst der stets um das Lob des Kollektivs bemühte Manager wollte nicht verneinen, dass Finnbogason dem Team etwas gebe, was sonst fehlt. Er sprach von "enormer Qualität".

Sein Ziel des vergangenen Jahrs, 30 Spiele in einer Saison zu absolvieren, hat er bereits verpasst. Und es werde eine Weile dauern, "bis ich auf meinem höchsten Niveau bin", sagt er, "ab jetzt beginnt meine Saison." Klingt fast wie eine Drohung. In der Torschützenliste hat er schon mal mit Robert Lewandowski gleichgezogen.

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SZ vom 02.10.2018
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