Süddeutsche Zeitung

Fifa:Zwischen zwei Baustellen

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Die Doping-Causa und die Rolle der Ethik-Chefin setzen Gianni Infantino zu.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Schöne, neue Fußballwelt. Bestens gelaunt ist Gianni Infantino und zu Scherzen aufgelegt, als er am Samstag in Sankt Petersburg vor die Presse tritt; einmal lacht der Präsident des Weltverbandes gar mit seinem Nebenmann um die Wette, dem umstrittenen russischen Sportfunktionär Witalij Mutko. Denn heute will er gute Nachrichten unters Volk bringen. Dass der Confed Cup ein hervorragendes Turnier gewesen sei und es nun endlich den Videobeweis gebe, eine großartige Sache im Sinne der Gerechtigkeit. Und auch das: Cristiano Ronaldo ist Vater von Zwillingen geworden, Lionel Messi hat geheiratet.

Seit eineinhalb Jahren ist Infantino, 47, Fifa-Boss. Der Confed Cup ist sein erstes größeres Turnier in diesem Amt. Das wichtigste steht in einem Jahr an, die WM in Russland. Doch bis dahin warten harte Monate. Denn es gibt Themen in der Fußballwelt, die weit wichtiger sind als das Privatleben ihrer Superhelden - und insbesondere zwei davon setzen Infantino und der Fifa zu. Die Doping-Causa Russland. Und die immer merkwürdigere Rolle der neuen Chefermittlerin der Ethikkommission.

Die Dopingfragen zu Russlands Fußball spitzen sich zu. Es steht nach Aussagen des kanadischen Sonderermittlers Richard McLaren der Verdacht im Raum, dass neben dem dokumentierten allgemeinen Manipulationssystem die Kickerbranche über ein eigenes Vertuschungsmodell verfügt habe. 155 auffällige Proben aus dem Fußball machte der Kanadier bei seiner Arbeit im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) aus - und legte der Fifa eine Prüfung nahe. Zwei im McLaren-Report genannte U 20-Spielerinnen, so sagte die Fifa am Sonntag der SZ, seien schon vor zwei Jahren sanktioniert worden.

Aber bei der sportpolitisch heikelsten Frage, ob vor der WM 2014 das komplette russische Team vom System profitierte, versucht sich die Fifa an einer Entwarnung. Sie teilt mit, dass sie auch schon "verfügbare Proben nachgetestet" habe. Jedoch sei es, bis auf die zwei Frauen, "für alle anderen bisher" nicht möglich, Dopingverstöße nachzuweisen. Die Ermittlungen liefen aber weiter. Zugleich zitiert die Fifa die Wada, die ja selbst erklärt habe, es seien vielleicht nicht gegen alle Athleten im Report "ausreichend Beweise" vorhanden.

Doch das klärt noch nicht die Merkwürdigkeiten rund ums WM-Team 2014. Bekannt wurde ja gerade, dass vor der Reise von Moskau nach Brasilien am 3. Juni alle russischen Kicker eine Probe abgaben. In einer Mail aus dem Sportministerium ans Kontrolllabor (SZ vom 01.07.) hieß es dazu: "Wir müssen herausfinden, ob sie gesund sind." Nun bestätigte die Fifa der SZ, dass sie selbst auch schon am 30. Mai bei einem Freundschaftsspiel in Oslo alle Russen getestet habe. Alle mit negativen Ergebnissen. Das gesamte Team unabhängig zu kontrollieren, war bekannt und üblich vor dem Turnier; das galt auch für die übrigen Teilnehmer. Umso mehr stellt sich die Frage, warum es vier Tage später eine weitere, interne russische Testreihe gab - bei der geprüft werden sollte, ob alle "gesund" sind. Das nährt den Verdacht, dass die russische Führung sichergehen wollte, dass wirklich niemand international auffallen könnte. Ein vergleichbares Prozedere zeigen McLarens Akten für diverse andere Sportarten.

Russlands Verband erklärte das bisher nicht. Verbandschef und Vize-Premier Mutko ließ aber bei der Pressekonferenz mit Infantino zum Thema Doping eine wahre Philippika ab - fast neun Minuten dauerte der Vortrag: Es habe kein Dopingsystem gegeben, Russland habe keine Siege mehr nötig, er wisse nicht, wie er gegenüber westlichen Medien auf das Thema noch reagieren solle. "Wenn ich einen russischen Tanz vor Ihnen aufführe, hören Sie dann auf, diese Fragen zu stellen?"

Mutkos Aussagen werden kaum mehr ernst genommen. Aber in Infantino hat er den perfekten Mitstreiter. "Alles Spekulation", sagt der Fifa-Boss. Es habe bei WM 2014 und EM 2016 keine positiven Tests gegeben, das seien die Fakten. Als wäre nicht erwiesen, dass Doping meist vor Turnieren stattfindet. Und für den Vorschlag des Fifa-Ratskollegen Reinhard Grindel, die Kontrollhoheit bei der WM der Wada zu übertragen, findet er nur Spott: "Herr Grindel hat jeden Tag eine neue Idee. Großartig."

Doch neben dem Doping gibt es die zweite präsidiale Dauerbaustelle: das Ethikkomitee - und dessen Lavieren, sobald es um Infantino geht. Die von ihm überfallartig ins Amt beförderte Kolumbianerin Maria Claudia Rojas erscheint als Chefin der Ermittlungskammer zunehmend untragbar. Zweifel an der Unabhängigkeit der Juristin weckten bereits ihre gute Beziehung zum Chef des kolumbianischen Fußballverbands FCF, Ramon Jesurun, und ihre frühere Nähe zu Luis Bedoya. Die US-Justiz lastet Jesuruns Vorgänger im Fifa-Anklagekomplex Betrug, Bestechung und Geldwäsche zwecks Privatbereicherung an. Das von Infantino im Mai geschasste Ethiker-Duo aus Hans-Joachim Eckert und Cornel Borbély verbannte Bedoya auf Lebenszeit aus dem Fußball. Die neue Fifa-Chefermittlerin hingegen verband mit diesem Mann eine "freundschaftliche Beziehung" - dies räumte sie selbst ein; in Gerichtspapieren von April 2014 erklärte sich Rojas ob der Freundschaft für befangen.

Klar sind hier die Ethikregeln: Kandidaten für unabhängige Kommissionen haben beim üblichen Integritäts-Check alles, was einen Interessenskonflikt bilden könnte, selbst anzuzeigen. Ansonsten sind sie für das Amt disqualifiziert. SZ-Quellen zufolge aber lag den Fifa-Integritätsprüfern kein Hinweis Rojas' auf ihre Bande zu Bedoya oder Nachfolger Jesurun vor. Dieser rückte 2016 in Infantinos Fifa-Rat ein. Nur einen Monat vor dem Fifa-Kongress in Bahrain im Mai schlug er Rojas für den Chefermittler-Job vor. Auf Anfrage zu ihrem Verhältnis zu Bedoya und Jesurun teilte Rojas nur mit: Ihre Arbeit sei stets unter "höchsten ethischen Standards und in voller Unabhängigkeit und Transparenz" erfolgt.

Eine Fifa-Mitteilung über die Ethik-Ermittlungen ist offenkundig nicht korrekt

Nun steht sie erneut im Fokus. Vor drei Wochen erbat Rojas bei Vorgänger Borbély alle Ermittlungsakten, die der Schweizer bei sich statt im Fifa-Sekretariat verwahrte. Die separate Lagerung empfiehlt sich für Unterlagen zu hohen Fifa-Leuten oder Whistleblowern. Tatsächlich hatten Letztere im April Vorabklärungen gegen Infantino durch Borbelys Kammer ausgelöst. Es ging um mutmaßliches Fehlverhalten des zu Neutralität verpflichteten Fifa-Chefs bei der Wahl des neuen Afrika-Präsidenten Ahmad Ahmad; der Madegasse ist ein Getreuer Infantinos. Vorermittlungen können in ein offizielles Ermittlungsverfahren münden. So weit war der Fall Infantino/Ahmad nicht. Aber nach SZ-Informationen ist er auch noch nicht beendet.

Rojas fragte also die ausgelagerten Akten an, zu denen die Vorermittlung gegen Infantino zählt. Borbély regte an, einen Übergabetermin zu finden. Aber Rojas lieferte keinen Vorschlag. Stattdessen gab es Tage später ein Fifa-Statement, das offenkundig unzutreffend war: "Heute hat María Claudia Rojas (...) bestätigt, dass alle Akten an sie übergeben wurden und es keine offenen Vor- oder Ermittlungsverfahren betreffend den Fifa-Präsidenten gibt."

Rojas werden in dieser Erklärung unwahre Aussagen zugeschrieben. Sie hatte zu dem Zeitpunkt nicht "alle Unterlagen" vorliegen, schon gar nicht die heikelste, die bei Borbély lagerte: Die Übergabe stand ja noch aus. Weshalb sie gar nicht hätte wissen können, dass es "keine offenen Vor- oder Ermittlungsverfahren" gegen Infantino gebe. Dass es Vorermittlungen in der Tat gab, kann nun auch Rojas nachlesen. Die Akten erhielt sie nach SZ-Informationen erst vor wenigen Tagen - und damit nach der Fifa-Erklärung. Nicht per Übergabe, sondern in einem versiegelten Paket, heißt es in Fifa-Kreisen. Listig wiederholte die Fifa am Freitag, alle Ethik-Akten lägen vor und die Arbeit sei "im Gange".

In einem Punkt, der für eine Organisation, die auf sauberes Verhalten an ihrer Spitze Wert legt, dürfte das aber nicht gelten. Dass Rojas die Infantino-Untersuchung fortsetzt, darf niemand erwarten. So sieht es aus in der schönen neuen, alten Fifa.

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Quelle:
SZ vom 03.07.2017
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