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Schiedsrichter bei der Fußball-WM:Zweifelhafte Pfiffe

Lesezeit: 4 min

Die Fußball-WM hat nach dem zweiten Spieltag bereits einen großen Verlierer, der es dennoch bis ins Finale schaffen wird: Das Schiedsrichter-Team hat eklatante Fehlentscheidungen getroffen. Ein Zufall? Daran haben nicht nur Fans an den Stammtischen ihre Zweifel.

Von Thomas Hummel, Salvador

Die Fußball-Weltmeisterschaft hat nach dem zweiten Spieltag ein großes Verlierer-Team. Allerdings kann diese Mannschaft nicht ausscheiden, da mag sie noch so schlecht spielen. Sie wird es ins Finale schaffen, komme was wolle.

Das Team der Schiedsrichter hat einen miserablen WM-Start hingelegt. Ein unwürdiger Elfmeter gepaart mit weiteren tendenziösen Entscheidungen für Brasilien. Zwei zu Unrecht nicht gegebene Treffer für Mexiko. Ein spanisches Gegentor nach einem klaren Foul an Torwart Iker Casillas.

Einige Urteile in den ersten vier Partien waren derartig betrüblich, dass das Publikum längst die meiste Zeit damit verbringt, über die Unparteiischen zu streiten anstatt über die besten Fußballer der Welt zu reden. Diesen Umstand loben stets die Bewahrer, wenn die Notwendigkeit technischer Hilfsmittel oder eines Oberschiedsrichters am Fernseher diskutiert wird. Solche Fehlentscheidungen gehörten doch zum Spiel dazu! Das mache den Fußball erst so einzigartig in der Welt!

Für die Benachteiligten hält sich der Charme der falschen Pfiffe (oder Nicht-Pfiffe) in Grenzen. Und inzwischen auch für die Vertreter der Zunft. Der ehemalige Referee Urs Meier kritisierte die schlechte Auswahl und Vorbereitung der WM-Kollegen: "Da muss man nicht nur vor der WM üben, da muss man das ganze Jahr durch üben. Das machen die Fußballer ja auch. Die Schiedsrichter sind eben halt zum Teil noch Amateure, aber da kann man mehr machen." Ex-Fifa-Schiedsrichter Bernd Heynemann forderte den Weltverband auf, die Ansetzungen der Schiedsrichter zu überdenken. "Wichtig ist, dass jetzt nichts mehr passiert. Es ist wichtig, welche Ansetzungen die Schiedsrichterkommission jetzt tätigt."

Doch was will diese Schiedsrichter-Kommission eigentlich tun? Sie hat 33 Unparteiische nominiert für diese WM, wie üblich eingeflogen aus allen Winkeln der Welt. Das ist ja ein Versprechen der Fifa-Spitze: Wenn schon nicht alle Länder ihre Fußballer schicken dürfen, so sollen wenigstens die Referees ein paar Löcher auf der Weltkarte füllen. Ob allerdings Norbert Hauata aus Thaiti, Joel Aguilar aus El Salvador, Ravshan Irmatov aus Usbekistan, Nawraf Shukralla aus Bahrain oder Bakary Gassama zu den besten Schiedsrichtern den Welt zählen?

Sie sollen aber nun die besten Fußballer der Welt beaufsichtigen, die so schnell spielen wie nie zuvor in der Geschichte des Spiels. Dazu noch ohne die in anderen Sportarten üblichen Hilfsmittel wie dem Videobeweis. Ein unauflösliches Paradoxon. Immerhin hat die Fifa nun die Torlinientechnik eingeführt. Hoffentlich funktioniert sie.

So ist der Japaner Yuichi Nishimura der erste Buhmann der WM. Der Elfmeter am Brasilianer Fred war ein derartiges Theaterstück, dass sich Nishimura sogar den Vorwurf der Manipulation anhören muss. Nicht offiziell, denn einen Beweis dafür kann es nicht geben. Doch die Öffentlichkeit im Internet, an den Stammtischen oder in der Kantine kennt diese Grenze nicht. Angesichts der brisanten Lage rund um die WM, unken viele, werde der Gastgeber notfalls auf politischem Wege ins Halbfinale gezerrt, weil ein frühes Aus unvorhersehbare Konsequenzen nach sich ziehe.

Der deutsche Spielbeobachter Urs Siegenthaler war vor einem Jahr recht irritiert vom Konföderationen-Pokal heimgekehrt. Er hatte in mehreren Interviews berichtet, ihm sei aufgefallen, dass kaum ein Schiedsrichter die taktischen Fouls der Brasilianer geahndet habe. In der Frankfurter Rundschau sagte er zuletzt, dass er deshalb sogar bei der Fifa vorstellig geworden sei, denn "damit nehmen sie einer konternden Mannschaft alle Waffen weg". Kurzes Halten, kleines Stoßen, alles im Mittelfeld.

Nishimura machte am Donnerstagabend in São Paulo da weiter, wo seine Kollegen vor einem Jahr aufhörten. Fast jede strittige Situation im Mittelfeld bewertete er eher für die Gastgeber. Die Kroaten gerieten deshalb nach dem 1:0 erheblich unter Druck, weil sie ständig früh den Ball verloren. Kurzes Halten hier, kleines Stoßen da - der Pfiff blieb aus. Doch ist das schon Manipulation oder ein unbewusst gegebener Heimvorteil? Es wird spannend sein, wie sich die Schiedsrichter in den kommenden Partien der Brasilianer verhalten. Die Schiedsrichter sind so oder so nicht zu beneiden. Auf beiden Seiten warten die Kritiker auf zweifelhafte Pfiffe.

Der Fußball lässt seine Schiedsrichter alleine, sie sind das schwächste Glied in der Kette. Dieses Glied ist sowohl anfällig für Manipulationen, wie das ständig aufgedeckt wird in allen möglichen Partien auf dieser Welt. Wie auch für Fehler. Hat Nishimura tatsächlich ein Foul gesehen?

Hätten die Mexikaner gegen Kamerun am Ende nicht gewonnen, Wilmar Roldán aus Kolumbien wäre der nächste gewesen am Pranger der Fußballwelt. Zwei reguläre Treffer hatte er den Mexikanern abgepfiffen. Und hätte Spanien am Ende nicht so deutlich verloren, der Italiener Niccola Rizzoli hätte sich die Szene vor dem 1:3 noch mehrfach anhören müssen: Robin van Persie hinderte Torwart Casillas, an den Ball zu kommen.

Die Bevorteilten indes stellen ihr Glück als den Regeln entsprechend dar und feuern damit die Polemik weiter an. Brasiliens Trainer Filipe Scolari sagte nach dem Eröffnungsspiel: "Für mich war es ein Elfer, ich habe die Szene jetzt zehnmal gesehen." Der Darniedersinkende Fred wehrte sich noch deutlicher: "Das war ein klarer Elfmeter. Die Geschichte, einer ist mehr Elfmeter, einer ist weniger Elfmeter, gibt es nicht", sagte der 30-Jährige in einem auf der Homepage des brasilianischen Verbandes CBF veröffentlichten Video. Er sei keiner, der einfach hinfalle, führte er weiter aus. Und: "Wir lassen es jetzt nicht zu, unserem Sieg den Glanz zu nehmen. Wir haben verdient gewonnen."

Unterstützung erhielten die Brasilianer und Nishimura von Schiedsrichter-Chef Massimo Busacca. "Der Schiedsrichter hatte eine sehr gute Position, und von da aus hat er diese Bewegung sehr gut sehen können. Es gab einen Kontakt. Wenn der Spieler nicht gehalten hätte, würden wir jetzt nicht diskutieren", sagte er über die Szene vor dem Elfmeter. Der Kroate Dejan Lovren habe den theatralisch fallenden Fred laut Busacca "erst mit der einen, dann mit der anderen Hand" festgehalten.

Der Schweizer sprach immerhin von einem "Streitfall", in dem es nicht nur "Schwarz oder Weiß" gebe. Jedoch sei den Mannschaften vor dem Turnier in einem von 27 Beispiel-Videos klargemacht worden, dass Halten streng geahndet werden würde. Die Kroaten hätten also wissen müssen, was auf sie in solchen Fällen zukommt. Die Welt darf gespannt sein, was auf den anderen 26 Videos zu sehen war.

Für Yuichi Nishimura dürfte das Turnier zu Ende sein. Die Fifa bestraft Fehler mit anschließenden Diskussionen gerne mit dem Ausschluss. So hat der Japaner Zeit, sich im Internet als Teil des Panini-Albums zu bestaunen - mit brasilianischem Trikot.

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