Süddeutsche Zeitung

A-Junioren Bundesliga:Fußball mit Emotionen

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Die U19 des FC Ingolstadt wird seit mehr als einem Jahr von einer Frau trainiert: Sabrina Wittmann hat es geschafft, sich in einer Männerdomäne zu etablieren - und übernimmt nun auch die Leitung des Nachwuchszentrums.

Von Stefan Galler

Wenn Sabrina Wittmann ihren Jungs bei den Übungen zusieht, dann macht sie sich oftmals ganz klein. Sie kniet, ja kauert am Boden und beobachtet ganz genau, ob ihre Vorgaben umgesetzt werden. Immer wieder schreit sie Anweisungen, Lob und Kritik in Richtung der jungen Fußballer: "Pressing, Mann!" oder "Spiel den Ball fester!" Als die Gruppe nach einem intensiven Übungsteil mit dem Ball eine halbe Platzrunde auslaufen soll, aber eher entspannt vor sich hintrottet, blafft die Trainerin: "Männer, nicht gehen! Sonst können wir uns das sparen."

Man merkt an diesem Nachmittag auf dem Trainingsplatz 2 am Audi-Sportpark, dass die Vorbereitungsphase der U19-Bundesligamannschaft des FC Ingolstadt in die heiße Phase geht - an diesem Wochenende beginnt die neue Saison. Die Spieler sind konzentriert, Wittmann und ihre Assistenten müssen sich gar nicht sehr ins Zeug legen, um den Zug in den Übungen hochzuhalten.

Die 31-Jährige ist die einzige Frau, die in Deutschland eine männliche Fußballmannschaft auf diesem Niveau trainiert. Seit dieser Woche steht zudem fest, dass sie künftig sogar noch mehr Verantwortung innerhalb des Vereins erhalten wird: Wittmann übernimmt die Sportliche Leitung im Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) des FC Ingolstadt und folgt damit auf Roland Reichel, der den Posten neun Jahre lang innehatte.

Ihre erste Saison mit der U19 beendete sie auf einem Nichtabstiegsplatz, obwohl nicht weniger als sieben von 21 Mannschaften aus der Staffel Süd/Südwest absteigen mussten. Die Abstiegsregelung sei auch in diesem Jahr wieder "brutal", findet Wittmann, schließlich müssen sechs von 17 Teams runter: "Da bleibt wenig Raum, um die Entwicklung der Talente voranzutreiben, es geht nur ums blanke Überleben, das ist eine ärgerliche Konstellation." Vor allem die Tatsache, dass jedes Team nur einmal gegen jeden Gegner antreten darf, nervt die Fußball-Pädagogin: "Eine so kurze Spielzeit wird dem Aufwand nicht gerecht, außerdem wäre eine Saison mit Hin- und Rückrunde wesentlich fairer." So sei im VfB Stuttgart im Frühjahr das beste Team der Liga nur Vierter geworden.

Dass es für ihre Ingolstädter A-Junioren an diesem Samstag (11 Uhr) gleich mit einem Heimspiel gegen jene Stuttgarter losgeht, lässt Wittmann kalt: "Irgendwann musst du sie nehmen, warum nicht gleich am Anfang?" Lediglich der Klassenverbleib sei das Ziel, "alles andere wäre vermessen". Wie bei anderen U19-Mannschaften sei aber die Vorbereitung der Spieler auf den Seniorenbereich mindestens genauso wichtig wie das Absichern der höchsten Spielklasse.

In Torwart Maurice Dehler und Mittelfeldspieler Felix Keidel schafften zwei Spieler aus dem letztjährigen U19-Kader den Sprung in Rüdiger Rehms Drittligakader. "Bei beiden geht es in Richtung Profikarriere", meint die Trainerin. Das gelte auch für weitere Spieler aus ihrem aktuellen Team, die "schon oben mittrainieren", schließlich habe der Abstieg aus der zweiten Liga dafür gesorgt, dass die Durchlässigkeit zwischen Profis, U21 und U19 größer geworden sei, sagt Wittmann. Die Zusammenarbeit mit Chefcoach Rehm sei "von Beginn an richtig gut" gewesen. Und regelmäßig ist der Austausch sowieso: Die beiden arbeiten Tür an Tür.

"Sabrina mehr Verantwortung zu geben, unterstütze ich sehr", sagt Vorgänger Roland Reichel

Die 31-Jährige hat im Verein ein bemerkenswertes Standing, was sich nun mit der Beförderung zur Sportlichen Leiterin im NLZ ausdrückt: "Sabrina mehr Verantwortung für sportliche Entscheidungen und somit die sportliche Entwicklung des FCI zu geben, unterstütze ich sehr. Ich bin davon überzeugt, dass wir von der neuen Konstellation profitieren werden", sagt ihr Vorgänger Roland Reichel, der sich künftig vorrangig um die Ausbildungsphilosophie und um die Weiterbildung des Jugendtrainerstabs kümmern wird.

Dietmar Beiersdorfer, Geschäftsführer Sport und Kommunikation beim FC Ingolstadt, attestiert Wittmann "hohe fachliche und methodische Kompetenzen". Unter der Leitung des früheren Profis setzt der Verein immer mehr auf den weiblichen Sachverstand: In Daniela Heß (Trainerin U12 und Leiterin Perspektivteams), Anna-Lena Daum (Co-Trainerin U13; Torwarttrainerin U12 und U13), Sportpsychologin Friederike Uhlenbrock und der Pädagogischen Leiterin Malina Fuchs sind vier weitere relevante Positionen im NLZ mit Frauen besetzt.

Als 16-Jährige ging sie in die USA und trainierte dort ein Middle-School-Soccer-Team

Sabrina Wittmann verfolgt keine spezielle Karriereplanung, womöglich gar mit dem Ziel, irgendwann im Oberhaus zu landen. "Ich habe mir schon nicht träumen lassen, einmal Trainerin in der U19-Bundesliga zu sein", sagt sie und hält den Ball flach: "Es ist nicht so, dass ich nicht gerne ein Männer-Profiteam trainieren würde. Aber ich werde jetzt auch nicht total unglücklich sein, wenn das nicht passiert."

Sabrina Wittmann, die in Ingolstadt geboren ist, entwickelte schon als Kind ihre Fußballleidenschaft. Sie kickte auf dem Schulhof mit den Jungs, begann in der C-Jugend als Vereinsspielerin beim SC Steinberg und kam schon in der B-Jugend zum FCI. Mit 16 ging sie als Stipendiatin in die USA, lebte in Kentucky, spielte für das Highschool-Team und trainierte nebenbei Kids auf der Middle-School. "Der Stellenwert des Mädchenfußballs in den USA ist riesig", berichtet sie, "da kommen zu den Schulmeisterschaften so viele Zuschauer wie bei uns in der Frauen-Bundesliga."

"Der Fußball, den wir zelebrieren, muss emotional sein", sagt die Trainerin

Wittmanns Eltern beorderten sie nach einem Jahr zurück, sie solle eine Ausbildung machen, so die klare Ansage. Sie studierte Sportwissenschaften an der Technischen Universität München, spielte bei Greuther Fürth - und fasste schnell Fuß im Trainerstab in Ingolstadt. Sie startete als U10-Trainerin, Jahr für Jahr vertraute ihr NLZ-Leiter Reichel ältere Jahrgänge an. Parallel machte sie ihre Trainerscheine, wurde 2018 Co-Trainerin der A-Junioren unter Roberto Pätzold, den sie noch heute als "Mentor und Vorbild" bezeichnet. 2020 folgte die Beförderung zur U17-Trainerin, ehe sie 2021 selbst als Chefin zu den A-Junioren wechselte. Ihre Philosophie umreißt Sabrina Wittmann klar: "Der Fußball, den wir zelebrieren, muss emotional sein, am liebsten sollen die Jungs spielen wie der FC Liverpool", sagt sie und meint: offensiv, leidenschaftlich, laufintensiv, körperbetont.

Sie arbeitet akribisch mit ihren Schülern, unterbricht die Übungen immer wieder, stellt die richtigen Fragen und gibt entsprechende Antworten. "Mit einer hohen Passschärfe hat der Empfänger mehr Zeit. Und auch wenn der Pass mal halbhoch ankommt, können wir ihn verarbeiten - wir sind schließlich Bundesligaspieler", ruft sie den Spielern angemessen laut zu. Sie genießt viel Anerkennung, die jungen Kicker attestieren ihr hohe Fachkompetenz, dazu auch ein Einfühlungsvermögen, das männlichen Übungsleitern bisweilen fehle. "Ich bin selbst sensibel, natürlich möchte ich eine Stütze für die Jungs sein, aber sie sind auch eine Stütze für mich", sagt die 31-Jährige.

Nächster Schritt in ihrer Laufbahn soll nun die Fußballlehrerlizenz sein, die Lehrgänge sind jedoch schwerer zu erreichen, seit der DFB nur noch zwölf statt wie früher 24 Ausbildungsplätze anbietet. "Das würde meine Ausbildung perfekt abschließen, alleine der Austausch mit renommierten Trainern dort würde mich sehr reizen", sagt sie. Viel beibringen muss man Sabrina Wittmann jedenfalls nicht mehr.

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