Süddeutsche Zeitung

FC Chelsea in der Premier League:Antonio Contes Gespür für gefallene Riesen

Lesezeit: 2 min

Von Sven Haist, London

Mit einer schnellen Drehung befreite sich Antonio Conte nach Abpfiff aus der Umklammerung seiner Assistenten, um sich auf direktem Weg zu den eigenen Fans zu begeben. Dort angekommen, umarmte der Trainer des FC Chelsea seine Spieler und reihte sich ein in die Feierlichkeiten des Teams. Zeitweise setzte sich Conte gar an die Spitze des Festzugs. Im Designeranzug mit Lackschuhen tänzelte er vor sich hin und schwang abwechselnd seine Arme nach oben - bis er den Boden unter den Füßen verlor. Denn Chelseas Spieler warfen ihren italienischen Vordenker durch die Luft in Birmingham. Für keinen Schabernack war sich Conte zu schade. Schon bei Juventus Turin landete er einmal nach dem Gewinn des Meistertitels in einem Eisbad.

Nun stürzten sich die Profis mit Anlauf auf den nasskalten Rasen, Conte rannte mit im Pulk, entschied sich jedoch, am Ende lieber stehen zu bleiben: aus Sorge um sein Sakko. Als er ungewöhnlich spät erst in Trainingsklamotten zur Pressekonferenz erschien, war klar, dass die Kabinenparty mit erneutem Eisbadbesuch und Champagnerdusche ihre Wirkung nicht verfehlt hatte. Hinterher klagte Conte mit dicker Lippe: "Mein Anzug ist ein Desaster."

Das Malheur nahm er gelassen hin. Als Entschädigung gewann Conte, 47, nach dem Titel-Hattrick mit Juventus Turin (2012, 2013, 2014) in der Serie A erstmals die Premier League. "Ein Traum ist wahr geworden", sagte er: "Wenn man so viel Enthusiasmus, Leidenschaft und Zeit in die Arbeit steckt, teilweise auf Schlaf verzichtet, ist es richtig, zu feiern und den Moment zu genießen." Das 1:0 bei West Bromwich am Freitagabend hat dem FC Chelsea zwei Spieltage vor Saisonende die sechste Meisterschaft der Vereinsgeschichte gesichert. Uneinholbare zehn Punkte liegen zwischen Chelsea und dem Tabellenzweiten Tottenham Hotspur.

Nach 2010 könnte Chelsea erstmals wieder das englische Double gewinnen

In der knapp 14 Jahre andauernden Ära von Klubeigentümer Roman Abramowitsch hat Chelsea nun fünf Premier-League-Titel eingeheimst, vier FA-Cups, die Champions League und die Europa League. In zwei Wochen könnte ein weiterer Triumph im Pokal hinzukommen. Zum zweiten Mal nach 2010 dürfte sich Chelsea dann gleichzeitig Meister und Pokalsieger nennen.

Entgegen der Logik von Statistiken grätschte an diesem Meisterabend Michy Batshuayi, der erst 127 Premier-League-Minuten vorweisen kann, ein Zuspiel von der Seite zum Siegtreffer über die Linie (82.). "Antonio, Antonio" riefen die Fans von der Tribüne. In den zurückliegenden Jahren ist es zur Spezialität Contes geworden, gefallene Riesen (Juventus Turin, die italienische Nationalmannschaft) wieder aufzurichten. Das gelang ihm nun auch bei Chelsea. Nach Rang zehn in der Vorsaison gab Conte dem Verein Zuversicht und Energie zurück. Als Wendepunkt bei Chelsea gilt Contes Wechsel der Grundformation in der 55. Minute beim 0:3 gegen Arsenal am sechsten Spieltag.

Erstmals traute sich in diesem Jahrtausend ein Trainer in England dauerhaft auf eine Dreierreihe in der Abwehr umzustellen. Das Vorhaben überholte das Gedankengut in der Premier League und löste eine Kettenreaktion aus. Mehrere Vereine haben bereits nachgezogen und die neue Idee für sich übernommen. Sich selbst zu loben, gehört aber nicht zu den Eigenschaften von Conte. "Ich muss mich bei meinen Spielern bedanken für ihre Hingabe, die Einstellung und den Willen, etwas Großes zu schaffen in dieser Saison", sagte er.

Wie eng das Verhältnis zwischen ihm und seinen Spielern geworden ist, zeigte sich kurz vor Mitternacht. Angeführt von Diego Costa und David Luiz tauchten einige Profis im Medienraum auf, um ihren Trainer abzuholen. Antonio Conte leistete keinen Widerstand.

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Quelle:
SZ vom 14.05.2017
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