Süddeutsche Zeitung

Union gegen Bayern:Ratlos zwischen Berliner Abwehrbeinen

Lesezeit: 3 Min.

Das zweite 1:1 des FC Bayern nacheinander ist nicht nur mit Chancenverschwendung zu erklären. Eine überragende Defensivleistung von Union gibt Trainer Julian Nagelsmann ein Rätsel auf.

Von Javier Cáceres, Berlin

Später, als die Partie des FC Bayern München beim 1. FC Union schon längst vorüber war und Torwart Manuel Neuer frisch geduscht aus der Kabine kam, wurde er noch an die 75. Minute erinnert. Daran, wie Unions Einwechselspieler Jamie Leweling sich auf der linken Seite gegen den schlafmützigen Bayern-Verteidiger Dayot Upamecano durchsetzte und allein auf Neuer zulief - mit so viel Zeit, dass er sich wohlüberlegen konnte, was er mit dem angebrochenen Angriff noch veranstaltet. In der Mitte waren ein paar Kameraden nachgerückt. Doch er traf die Entscheidung, aufs kurze Eck zu zielen. Halbhoch.

Der Ball flog aufs Tor. Aber da stand eben Neuer und riss den rechten Arm hoch, mit dem spektakulären Reflex eines Handballtorwarts. "Es war schon ganz gut, dass ich da war", sagte also Neuer, und das hieß auch: Wer weiß, ob die Bayern auf einen neuerlichen Rückstand eine Entgegnung gefunden hätten. "Sie waren der schwierigste Gegner bisher", sagte Neuer noch.

Die Partie endete mit einem 1:1, das die 22 000 Menschen im Stadion An der Alten Försterei mit einer stehenden Ovation feierten. Die Unioner hatten sich durchaus Verdienste erworben, das erkannte auch Bayern-Trainer Julian Nagelsmann an. Doch der Nichtsieg schlug ihm wohl aufs Gemüt. "Das Stadion ist cool, die Fans sind cool, der Klub ist cool, Urs (Fischer, der Union-Trainer) ist cool ... Ich komme eigentlich gern hierher. Nur mit dem Ergebnis bin ich unzufrieden", sagte Nagelsmann.

Fünf Spieltage ist die Saison alt, und wer nach den brillanten Auftritten der Bayern im Supercup und den ersten drei Saisonspielen erwartet hatte, dass die Bayern zu Beginn des Septembers eine Reiseflughöhe namens "unangefochtene Tabellenführung" erreicht hätten, sieht sich getäuscht: Sie weisen einen Zähler Rückstand auf den SC Freiburg und Borussia Dortmund auf. Denn das Remis bei Union war nun schon das zweite in Serie. Ob die Bundesligasaison nun spannender werde als von den Auguren vorhergesagt, wurde Nagelsmann gefragt, und er erklärte einigermaßen genervt, dass man diese Frage rund um den 25. Spieltag wieder vorlegen solle. Mitte März.

Trimmel, Jaeckl, Knoche, Doekhi und Ryerson - der ganze Berliner Abwehrverbund überragt

Es spricht eine Menge dafür, dass sich die Prognose einer Bayern-Hegemonie bewahrheitet. Unter anderem deshalb, weil es nicht gar so viele Mannschaften gibt, die in der Lage sind, die Bayern in Hinterhof-Scharmützel zu verwickeln wie dieser immer noch erstaunliche 1. FC Union, der nach fünf Spieltagen ebenso viele Punkte aufweist wie der Rekordmeister und saisonübergreifend seit zwölf Liga-Spielen ungeschlagen ist.

In Sachen Defensivleistung habe Union "wirklich ein Topspiel" abgeliefert, freute sich Unions Trainer Fischer, und damit hatte der Schweizer ohne Einschränkungen Recht. Es war nahezu unmöglich, auch nur ein Mitglied aus dem Abwehrverbund der Köpenicker hervorzuheben - Trimmel, Jaeckl, Knoche, Doekhi und vor allem Ryerson waren zusammen mit dem defensiven Mittelfeldspieler Rani Khedira schlichtweg überragend. Die Bayern hatten am Ende 69 Prozent Ballbesitz, wohl wahr. "Aber wir waren nie passiv", sagte Fischer. Und: Eine Prise mehr Spielglück, und die Unioner hätten den Bayern womöglich wirklich die erste Saisonniederlage beigefügt.

Die Fortune fehlte bei der eingangs erwähnten Chance von Leweling oder auch in den Minuten nach der Führung durch Sheraldo Becker, der im fünften Spiel sein fünftes Tor erzielte. Denn kaum, dass Becker im Anschluss an einen Freistoß aus dem Halbfeld traf, den Nagelsmann als unberechtigt bezeichnete, glichen die Bayern mit reichlich Glück aus. Nach einer Ecke von Joshua Kimmich flipperte der Ball kurz im Strafraum der Köpenicker hin und her, dann lag er wieder vor den Füßen Kimmichs, der aus halbrechter Position im Strafraum mit den drei äußeren Zehen des rechten Fußes draufhielt - und dann auch noch die Fortune hatte, dass der Schuss von der Wade Trimmels Richtung auf das Tor aufnahm.

Alles, was drumherum geschah, war von Kampf um jeden Zentimeter Rasen geprägt. Die Bayern ließen den Ball von links nach rechts und wieder zurück kreisen, in der Hoffnung auf Räume, die Union aber nicht bot. Außer in ein paar ausgewählten Situationen: In der 36. Minute, als Musiala einen Ball durch die Beine von Danilho Doekhi steckte, sodass Leroy Sané allein vor Unions Frederik Torwart Rönnow stand - und an dessen Bein scheiterte. In der 44. Minute, als Sané wieder frei zum Schuss kam, diesmal aus 18 Metern, und den Ball nur knapp am Lattenkreuz vorbeisetzte. Und in der zweiten Halbzeit, als Alphonso Davies eine feine Hacken-Ablage von Sadio Mané nicht richtig unter Kontrolle bekam und Rönnow zweimal gegen Mané rettete.

Selbst diese vergleichsweise hohe Zahl an hochwertigen Torgelegenheiten war kein Vergleich zum "Chancenwucher" aus dem Spiel gegen Borussia Mönchengladbach, "wo ich viel, viel mehr über zwei verlorene Punkte spreche", sagte Nagelsmann.

Insgesamt habe die Mannschaft nicht das gleiche Energieniveau gehabt wie in den Vorwochen, aus Gründen, die Nagelsmann ein Rätsel waren. Er wird ihnen nachspüren und nachspüren müssen. Denn am Mittwoch wartet in der Champions League eine Reise zu Inter Mailand - ein Gegner, von dem es heißt, dass er ähnlich gut wie Union damit umzugehen weiß, wenn er gegen die Wand gestellt wird.

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